Vom Vorrang in der Liebe zum Stellvertreter Christi
Das Papstamt hat sich im Laufe der Kirchengeschichte stark gewandelt, ja übermäßig überhöht. "Der Papst aber ist kein Halbgott, sondern ein Mensch", sagt Dietmar Winkler, Professor für Kirchengeschichte in Salzburg.
„Es sind nahezu übermenschliche Anforderungen, die an das Petrusamt heute gestellt werden“, sagte Kardinal Christoph Schönborn wenige Tage vor Beginn des Konklaves. Der Kirchenhistoriker Dietmar Winkler sieht einen Grund für diese Überforderung auch darin, dass im Laufe der Geschichte das Papstamt so überhöht wurde, dass es „menschliches Maß“ übersteigt. „Der Papst aber ist kein Halbgott, sondern ein Mensch.
Das Papstamt hat sich im Laufe der Kirchengeschichte stark gewandelt. Und bis zu dem im I. Vatikanischen Konzil (Konstitution „Pastor aeternus“) formulierten umfassenden Primat in allen Fragen der Glaubens- und Sittenlehre, des Rechts und der Disziplin, einschließlich der „Unfehlbarkeit“, wenn er ausdrücklich als oberster Hirte (ex cathedra) spricht, war ein weiter Weg. „Und es steht nirgendwo, dass dieser Weg zu Ende ist“, meint Winkler. „Er kann auch in eine neue Richtung gehen.“
Die Botschaften von Papst Benedikt und seinem Nachfolger Papst Franziskus
Interessant findet Winkler in diesem Zusammenhang einen Vergleich der „Signale“, die Papst Benedikt und sein Nachfolger Franziskus bei ihrem Amtsantritt ausgesandt haben. Benedikt habe nach seiner Wahl unter Bezugnahme auf Matthäus 16,18 gesagt: „Als Christus mich zum Bischof von Rom erwählt hat, wollte er mich zu seinem Stellvertreter machen, zum Felsen, auf den sich alle sicher stützen können.“ Er, der persönlich ein durchaus bescheidender Mensch sei, habe sich in seinem theologischen Amtsverständnis auf den erst im Hochmittelalter als Anspruch formulierten „Vicarius Christi“, den Statthalter Christi in dieser Welt, berufen. Papst Franziskus meinte: Die Kardinäle (!) seien bis ans Ende der Welt gegangen, um ihn zum Bischof von Rom zu wählen, zum Bischof jener Kirche, „die den Vorsitz in der Liebe führt“. Er berief sich dabei, so Winkler, auf ein Papstverständnis der frühen Kirche, wie es Ignatius von Antiochien um das Jahr 110 formuliert hat. „Er stellt damit nicht die ,Macht‘, sondern die Verantwortung für andere in den Vordergrund“, betont Winkler. Unterstrichen habe er das noch einmal bei der Ansprache an die Kardinäle: „Wir müssen den Weg mit Christus gehen und das Kreuz auf uns nehmen, weil sonst sind wir Bischöfe, Kardinäle oder Päpste, aber nicht Jünger Christi.“ „Der Bischof von Rom, gemeinsam unterwegs mit den Bischöfen und dem Volk in der Nachfolge Christi, in der Liebe, das scheint mir doch ein neuer Akzent im Vergleich zu dem herausgehobenen „Stellvertreter Christi“ zu sein.
Die Anfänge
In der frühen Kirche hatte die Gemeinde von Rom und ihr Bischof eine gewisse Vorrangstellung. Das, so Winkler, habe zwei Gründe: Rom war das Zentrum der antiken Welt und – für Christen viel entscheidender – Rom war der Ort, an dem Petrus und Paulus das Martyrium erlitten hatten. In den ersten Jahrhunderten habe sich die Gemeinde von Rom immer auf beide Apostel berufen.
Historisch gesehen war Petrus nicht der Bischof von Rom, aber er hatte eine besondere Stellung im Apostelkollegium. Das drücke sich auch darin aus, dass sich alle frühchristlichen Patriarchate (Alexandrien, Antiochien, Jerusalem, später auch Konstantinopel) auf Petrus direkt, seinen Schüler Markus oder seinen Bruder Andreas beriefen. Die besondere Stellung des Petrus als „Fels“, auf den Jesus seine Kirche baut (Mt 16,18), bezog erstmals Bischof (Papst) Callisto (217–222) auf den römischen Bischofssitz. Im 4. Jh. spricht Papst Damasus von der römischen Kirche erstmals als „apostolischem Stuhl“. „Das drückte eine gewisse Achtung, eine Art Vorrangstellung in der Liebe und im Glauben aus, keinesfalls aber eine formelle, rechtliche Vormacht. Die Kirche war damals in eigenständigen Patriarchaten bzw. Bistümern organisiert, entscheidende und strittige Glaubensfragen wurden in Konzilien entschieden. Bei den bis heute bedeutsamen ersten sieben ökumenischen Konzilien (325 bis 787) war der römische Bischof (Papst) nur durch einen Delegaten vertreten“, berichtet Winkler.
Stellvertreter Petri
Mit dem Hereinbrechen der Völkerwanderung und dem Untergang des weströmischen Reiches (4. bis 6. Jh.) kamen auch neue Hierarchievorstellungen nach Rom und die Päpste versuchten sich gegenüber den germanischen Fürsten zu positionieren. In diesem Kontext spricht Papst Innozenz I. (401–417) erstmals von Petrus als dem „Apostelfürsten“. Papst Leo d. Große (440–461) bezeichnet sich erstmals als „Stellvertreter Petri“ – so wie Petrus das Haupt der Apostel war, sei der Papst als Nachfolger des Petrus das Haupt der Bischöfe. „Wobei“, so Winkler, „für Leo unbestritten war, das eigentliche und ursächliche Haupt der Kirche ist Christus.“ Viele Bischöfe seien freilich damals der Idee einer eigenen petrinischen Sukzession (direkte Amtsnachfolge) gegenüber der allgemeinen apostolischen Sukzession (Nachfolge im Apostelamt) nicht gefolgt. Das sei bis heute eine der großen offenen Fragen im ökumenischen Gespräch mit den Ostkirchen, die zwar – mehr oder weniger – bereit wären, dem Papst einen gewissen Vorrang einzuräumen, den er in der öffentlichen Wahrnehmung als „Stimme der Christen“ ja de facto auch hat, aber einen Vorrang unter gleichen – also keinen Jurisdiktions- oder Lehrprimat. Wie so ein Papstamt ausschauen könnte, dazu hat Papst Johannes Paul II. in seiner Ökumene-Enzyklika zum gemeinsamen Nachdenken eingeladen. Ein offizieller Dialog darüber habe bisher allerdings nicht stattgefunden. Aber auch in manchen Ostkirchen mehren sich die Stimmen, dass man eine effizientere Kirchenleitung als bisher brauche, etwa wenn man das jahrelange Tauziehen um die Einberufung eines orthodoxen Konzils betrachtet.
Der Papst zwischen Gott und den Menschen
Als problematischen „Quantensprung“ bezeichnet Winkler die Einführung des Titels „Vicarius Christi“ (Stellvertreter Christi) durch Papst Innozenz III. (1198–1216). Dem vorausgegangen war eine lange Auseinandersetzung zwischen weltlichen Machthabern (Kaisern, Fürsten) und den Päpsten um die Macht, Bischöfe und Priester einzusetzen bzw. abzuberufen (Investiturstreit). Nach vielem Hin und Her sei es der Kirche schließlich zunächst gelungen, Herr im eigenen Haus zu werden und die weltliche Einflussnahme zurückzudrängen.
Das, so Winkler, war prinzipiell ja positiv. Aber dann habe sich der Papst am Höhepunkt seiner Machtfülle auch zum Haupt der weltlichen Macht erhoben, da im mittelalterlichen Verständnis alle Macht von Gott gegeben ist und er Gottes Stellvertreter auf Erden sei. Damit „stellte sich der Papst als jemand dar, der zwischen Gott und den Menschen steht, mehr als ein Mensch, eine Art Weltenherrscher und Priesterkaiser in Stellvertretung Jesu. Diese Vormachtstellung sei zwar politisch rasch „den Bach hinunter gegangen“, habe sich aber innerhalb der Westkirche selber gehalten.
Von der Primatstellung des Papstes bis zum Unfehlbarkeitsdogma
Als im Zuge der italienischen Staatswerdung 1870 der Kirchenstaat verloren geht, habe das I. Vatikanische Konzil, auch aus Angst, von der Politik überrannt zu werden, die innerkirchliche Primatsstellung des Papstes bis hin zum Unfehlbarkeitsdogma zugespitzt – nach dem Prinzip „alle Macht in einer Hand“. Der damit verbundene Ausbau der kurialen Macht habe in der Kirche zu einem immer stärkeren Zentralismus geführt. „Die Versuche des II. Vatikanischen Konzils, die päpstliche Machtfülle kollegial einzubetten (Einführung der Bischofssynoden, Aufwertung der Ortskirchen), stecken noch in den Kinderschuhen und sind von einer echten kollegialen Amtsführung weit entfernt“, meint Winkler. Das wäre aber nicht nur für die römische Kirche dringend notwendig, sondern auch ein Signal der Glaubwürdigkeit gegenüber den Ostkirchen. Papst Franziskus sei für ihn allerdings ein Hoffnungsträger – auch weil er in seiner Kirche längst die aktive und umfassende Einbeziehung vieler – Priester und Laien – gelebt hat. „Er weiß, dass die Kirche in Lateinamerika nur so die Nachfolge Jesu leben kann – oder eben nicht.“
Zur Sache
Er ist ein echter Hirte seiner Herde
Die Wahl von Erzbischof Bergoglio habe in Argentinien viele überrascht, sagt P. Franz Senfter. Zum Abschied habe er noch seinem Dompfarrer gesagt, „du brauchst gar nicht darüber nachzudenken, dass da etwas zustande kommt“. Sehr gefreut habe er sich über die Namenswahl, denn „ich weiß mich selber in meiner Arbeit sehr meinem Namenspatron Franziskus verbunden.“ Von Bergoglio sei bekannt, dass er in seinen Worten und in seinem Handeln den Armen nahe war. „Und er ist ein Mann der ,Barmherzigkeit‘, wie das sein Wahlspruch ausdrückt.“
Immer wieder habe er seine Priester und Mitarbeiter/innen ermahnt, den Menschen, vor allem den Armen, nachzugehen und ihnen weniger mit dem Gesetz als mit Barmherzigkeit zu begegnen“, sagt Senfter. „Bei uns gibt es ja viele Leute, die ohne Ehe zusammenleben.
Manche meinen dann, deren Kinder könne man nicht taufen. Bergoglio hat denen immer ins Gewissen geredet, dass sie so nicht handeln dürfen“, nennt P. Franz als Beispiel.
Besonders gut ist Senfter die Zeit in Erinnerung, als Bergoglio Vorsitzender der Bischofskonferenz war: „Er war sehr kritisch in der Analyse der sozialen Zustände und hat sehr deutlich gesagt, wo sich was ändern muss. Wir wussten aber auch, dass er nicht nur redet, sondern dass er auch eine Kirche vorlebt, die bei den Armen und Ausgegrenzten ist.“