Mit dem „Anschluss“ vor 80 Jahren am 12. März 1938 wurde Österreich Teil NS-Deutschlands. Lange Zeit sah sich das Land als „erstes Opfer“ Hitlerdeutschlands und unterschlug, dass Österreicher Täter, Zuschauer und Opfer waren. Auch die Rolle der katholischen Kirche ist geprägt von Schatten, Lichtern – und vielen Grautönen dazwischen.
Ausgabe: 2018/10
06.03.2018 - Heinz Niederleitner
Heil Hitler! Th. Kard. Innitzer.“ So beendete der Wiener Erzbischof am 16. März 1938 handschriftlich den Begleitbrief der „Feierlichen Erklärung“ der österreichischen Bischöfe zum „Anschluss“. Die Erklärung empörte den Vatikan: „Freudig“ werden darin die Leistungen der NS-Bewegung für das deutsche Volk anerkannt, „beste Segenswünsche“ erteilt. Bei der Volksabstimmung werde man sich zum Deutschen Reich bekennen und erwarte das auch von den Gläubigen.
Es ist nebensächlich, dass der Wortlaut im Wesentlichen aus dem Büro von NS-Funktionär Josef Bürckel stammte. Es ist nicht die Hauptsache, dass der Anschluss-Gedanke auch jenseits der Nazis verbreitet war. Und es ist kein Ruhmesblatt, wenn sich Innitzer von Hitler täuschen ließ. Denn seit 1933 hatten Deutschlands Bischöfe trotz Konkordats ihre Not mit dem Regime. Seit 1933 gab es KZs sowie die Verfolgung der Juden, seit 1935 gab es die Rassengesetze. Die „Feierliche Erklärung“ bleibt daher eine dunkle Stunde des österreichischen Katholizismus.
Die Kirche ist kein Block
Es gab auch andere: „Einer ist euer Führer, euer Führer ist Christus.“ In diesen Satz gipfelte die Predigt desselben Kardinal Innitzer beim Rosenkranzfest der Katholischen Jugend am 7. Oktober 1938. Mehr als 7000 Menschen waren in den Stephansdom gekommen – der Gottesdienst gilt als größte Demonstration gegen das NS-Regime, das mit der Verwüstung des erzbischöflichen Palais antwortete.
Feierliche Erklärung und Rosenkranzfest zeigen, dass es unmöglich ist, die Rolle der katholischen Kirche während des NS-Regimes auf nur einen Nenner zu bringen. Die Einordnung schwankt stark: Vom Vorwurf der Regimestützung bis zur Selbststilisierung zur angeblich am schwersten betroffenen Opfergruppe. Ein differenzierter Blick auf die Jahre 1938 bis 1945 ist daher unumgänglich.
Bischöfe
Der Historiker Ernst Hanisch hat die Kirche einen Herrschaftsträger innerhalb des NS-Systems (nicht des Systems!) genannt: „Sie war die einzige Großgruppe nichtnationalsozialistischer und nichtmilitärischer Provenienz, die ihre Organisationsstruktur behalten konnte.“ Bei allen Unterschieden in Persönlichkeit und Situation lässt sich bei den Bischöfen sehen, dass es ihnen vor allem darum ging, den kirchlichen Bereich zu sichern, soweit dies bei den Einschränkungen durch das Regime möglich war. Das bedeutete einen Rückzug in den seelsorglichen Bereich und Anpassungsfähigkeit. Zu Widerstand rief die Kirchenführung nie auf.
„Kirchenkampf“
Auch wenn zwei Bischöfe 1938 ganz kurz ihrer Freiheit beraubt wurden, wagte es das NS-Regime nicht, sich an ihnen direkt zu vergreifen. Umso mehr hatte die Basis, vor allem Geistliche, durch den NS-„Kirchenkampf“ zu leiden. Eine Untersuchung des Historikers Helmut Wagner von Mühlviertler Pfarren ergab, dass dort 43 Prozent der Priester einer polizeilichen oder behördlichen Maßnahme ausgesetzt waren, 27 Prozent hatten Schulverbot und 17 Prozent saßen zumindest zeitweise im Gefängnis oder im Konzentrationslager. Im „Gau Tirol-Vorarlberg“ soll jeder fünfte Geistliche mindestens einmal in Haft gewesen sein, heißt es in einschlägiger Literatur.
Aus Deutschland übernahm das NS-Regime das Vorgehen, den Priestern Sexualdelikte vorzuwerfen. Bekannt ist der Fall des oberösterreichischen Priesters Johann Gruber, der im KZ Gusen starb. Er wurde 2016 rehabilitiert. Der ranghöchste Priester, der in „Großdeutschland“ hingerichtet wurde, war Provikar Carl Lampert aus Vorarlberg. Der „Kirchenkampf“ traf katholische Vereine, Schulen und Orden. Niederlassungen wurden verwüstet, 26 große Stifte geschlossen. Des Stifts St. Florian (OÖ) bemächtigte sich zum Beispiel die Reichsrundfunkgesellschaft.
Opfer und Widerstand
Die historische Literatur zählt schon längere Zeit folgende kirchliche Opfer auf: 724 Priester waren im Gefängnis, sieben davon starben. 110 waren im KZ, etliche verloren dort das Leben. 15 wurden zum Tode verurteilt und hingerichtet. Laien kommen in dieser Aufzählung nicht vor. Aber von den 70.000 Verhaftungen im März 1938 sollen laut der Historikerin Erika Weinzierl ein Drittel erklärte Katholiken gewesen sein.
Insgesamt betrachtet waren andere Opfergruppen größer, vor allem die rund 181.000 österreichischen Juden, von denen 65.000 ermordet, die anderen vertrieben wurden. Bei den wegen Kriegsdienstverweigerung Verurteilten sticht zwar Franz Jägerstätter hervor, das Gros machten aber die Zeugen Jehovas aus. Im Widerstand hatten die Kommunisten viele Opfer zu beklagen.
Wenn es zu Widerstandshandlungen von Katholik/innen kam, treten Katholiken, aber nicht die Kirche in Erscheinung: Franz Jägerstätter oder Schwester Maria Restituta Kafka mögen hier für jene stehen, die sich dem Regime entgegenstellten. Es gab aber auch katholisch-konservativ geprägte Widerstandsgruppen wie jene des 1944 hingerichteten Augustiner-Chorherrn Roman Scholz.
Stütze
Historiker haben immer wieder auf ein gemeinsames Ziel der Kirchenleitung (insbesondere Roms) und NS-Regime hingewiesen, nämlich den „Kampf gegen den Bolschewismus“. Im November 1941 verfassten die Bischöfe Österreichs einen Hirtenbrief, der den Krieg gegen die Sowjetunion in diesem Sinne versteht. Niemals hat die Kirchenleitung daran Zweifel gelassen, dass das NS-Regime als legitime Obrigkeit gemäß dem Römerbrief anzusehen sei. Insofern wurde das NS-System gestützt. Manche Kirchenmänner gingen weiter, insbesondere der aus Graz stammende Rektor des Priesterkollegs Santa Maria dell‘Anima in Rom, Bischof Alois Hudal. Er redete in Verkennung der Tatsachen einer „Verchristlichung des Nationalsozialismus“ das Wort. Auch unter Priestern gab es vereinzelt Anhänger des NS-Regimes.
Gegensätze
Trotzdem war das ideologische Ringen der Kirche mit dem Regime auf anderem Gebiet nicht zu übersehen. Den sichtbarsten Einsatz brachte die Kirche gegen Tötung beeinträchtigter Menschen auf – wobei auf Leitungsebene vor allem der deutsche Bischof Clemens August von Galen zu nennen ist. In Österreich ist der Widerstand gegen diese „Euthanasie“ durch Ordensoberin Anna Bertha Königsegg bekannt.
Im Gegensatz zu Brückenbauern wie Hudal lehnte der Kern der Kirchenleitung Nationalismus und Rassismus des NS-Regimes ab. In Österreich sticht hier besonders der Linzer Bischof Johannes Gföllner mit seinem bereits 1933 erschienenen Hirtenbrief über den wahren und falschen Nationalismus hervor. Allerdings ist dieses Schreiben höchst problematisch: Zwar schrieb Gföllner, man könne nicht „gleichzeitig guter Katholik und wirklicher Nationalsozialist“ sein und lehnte den Rassenantisemitismus ab. Aber der Hirtenbrief ist gespickt mit anderen Vorurteilen gegen Juden und damit Spiegel des katholischen Antijudaismus. Nur wenige hatten wie die Katholikin Irene Harand in den 1930er Jahren den Antisemitismus bekämpft.
Schweigen
Warum die Kirche ihre offizielle Stimme – vor allem jene von Papst Pius XII. – nicht zur Rettung der Juden erhob, wird heftig diskutiert. Geholfen wurde getauften Juden, wie in Wien durch die „Hilfsstelle für nichtarische Katholiken“. Einzelne Hilfen auch für Ungetaufte sind bekannt, doch es gab auch in Österreichs Kirche „zu wenig Gerechte“, wie Erika Weinzierl schrieb. Der Aufschrei angesichts der Judenverfolgung blieb – mit Ausnahmen wie dem Berliner Dompropst Bernhard Lichtenberg – aus. Es wäre zu einfach zu sagen, dass der kirchliche Antijudaismus direkt zum Vernichtungsantisemitismus geführt hätte. Aber er hat die Hemmschwellen für Gewalt gegen Juden niedrig gelegt. Als es darauf ankam, für Jüdinnen und Juden einzutreten, war der Kirche die eigene Situation wichtiger.
Was bleibt?
Der Theologe Ferdinand Klostermann hat in einem Zeitzeugenrückblick geschrieben: „Ein reines christliches Heldenlied ist die Geschichte des kirchlichen Kampfes gegen den NS-Staat und die NSDAP gerade nicht.“ Man kann es vielleicht so konkretisieren: Es gab Helden in der Kirche. Die Kirche insgesamt war keine Heldin. «