Wort zum Sonntag
Das Protokoll der Bischofswahl machte ein zerstrittenes Domkapitel, Diffamierungen und kirchenpolitische Ränkespiele öffentlich. Wie waren die Reaktionen darauf, dass ausgerechnet das kirchliche Medium kath.ch dieses Sittenbild öffentlich gemacht hat?
Raphael Rauch: Viele waren über den Inhalt des Protokolls entsetzt – und uns dankbar, weil wir es transparent gemacht haben. Es gab Stimmen, die sagten: Was wir bisher nur gerüchteweise wussten, liegt jetzt offen zutage. Andererseits gab es aber auch Unverständnis. Leute fragten mich: Wie kannst Du als katholischer Redaktionsleiter das päpstliche Geheimnis verletzen? Die Bischofswahl steht ja unter strenger Geheimhaltungspflicht. Uns wurde Parteilichkeit zugunsten der Kritiker des Churer Kirchenkurses vorgeworfen. Gefreut hat uns das Lob anderer Journalist/innen.
Schon zuvor hat kath.ch den Skandal um einen Priester aufgedeckt, der einer Mitarbeiterin das Bild eines Penis geschickt hatte. Sie haben dazu erklärt: Es gibt keinen katholischen oder unkatholischen Journalismus, sondern nur guten und schlechten. Wie halten Sie es mit Loyalität?
Rauch: In meinem Arbeitsvertrag ist von „kritischer Loyalität“ die Rede. Das bedeutet für mich im Sinne von Spiegel-Gründer Rudolf Augstein: „Sagen, was ist.“ Wir bringen nicht nur schlechte, sondern auch gute Nachrichten. Aber es gibt in der Kirche eben Missstände und wir wollen die kirchliche Welt nicht schönmalen. Die Abgründe werden nicht besser, indem man wegschaut. Im Gegenteil: Die Strukturen der Gewalt, die in der Missbrauchskrise sichtbar wurden, zeigen auch ein Versagen des kirchlichen Journalismus. Wir alle haben nicht genau hingeschaut.
Gerade wenn es um Abgründe geht, ist auch ein eigener Standpunkt gefragt. Welchen Platz hat die freie Meinungsäußerung in der Kirche?
Rauch: Ich habe keinen Maulkorb. Wir trennen natürlich Bericht und Kommentar. Solange die journalistische Professionalität gewahrt ist, können wir eigentlich alles machen. Das ist letztlich der Grund, warum ich meinen Job habe: Man kann mir viel vorwerfen, aber nicht, dass ich mein Handwerk nicht beherrschen würde.
Fakten und Meinungen werden gerade in der Missbrauchskrise oft vermischt. Konservative Stimmen behaupten zum Beispiel, die 68er-Bewegung trage daran eine Mitschuld. Auf welcher Basis müssen wir die Diskussion führen?
Rauch: Vor der Diskussion braucht es eine Faktengrundlage. Das Phänomen „Missbrauch“ ist viel komplexer, als es meist behandelt wird. Studien zeigen zum Beispiel, dass viele priesterliche Missbrauchstäter gar nicht pädophil sind, aber im Laufe ihrer Aufgaben in Situationen der Frustration, des Burnouts, der Einsamkeit oder des Alkoholismus geraten. In dieser Gemengelage geschieht dann der Missbrauch. Hier müssen wir Gerüchte und Fakten auseinanderhalten. Erst darauf kann wirksame Prävention aufbauen.
Kommen wir zurück zur Lage in der Schweizer Kirche: Da ist eine große Zerstrittenheit erkennbar, auch vor dem Hintergrund der gescheiterten Churer Bischofswahl. Müssen wir in der katholischen Kirche den gesitteten Streit erst lernen?
Rauch: Unbedingt. Das war ja auch der Grund, warum ich das Protokoll der Wahl veröffentlicht habe: Es ist an sich ja nicht schlimm, wenn wir in der Kirche Differenzen haben. Aber der Streit muss in der richtigen Tonalität stattfinden und er muss konstruktiv sein. Es darf nicht in Diffamierungen enden, wie zum Beispiel die Behauptung, dass die Bistümer Basel und St. Gallen sowie das Kloster Einsiedeln die „feindliche Übernahme“ des Bistums Chur planen würden.
Was erwarten Sie weltkirchlich vom eben erst gestarteten Jahr 2021?
Rauch: Papst Franziskus hat ein Jahr der Familie ausgerufen, um nochmals über sein Schreiben „Amoris laetitia“ zu sprechen (in welchem es unter anderem um den Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen geht, Anm.). Als das Schreiben vor Jahren herauskam, hat zum Beispiel der damalige Kölner Kardinal Meisner mit anderen seine Zweifel („Dubia“) am Kurs des Papstes geäußert. Mittlerweile ist Meisner verstorben und sein Nachfolger, Kardinal Woelki, steht wegen mutmaßlicher Missbrauchsvertuschung unter Druck. Ich denke, dass jetzt eine sachliche Diskussion möglich ist. Dabei geht es gar nicht mehr darum, ob wiederverheiratete zur Kommunion gehen können, denn das wird in der Realität seit Jahrzehnten so gehandhabt. Vielmehr sollten wir über Familie sprechen: Was heißt Zusammenleben? Was heißt, füreinander da zu sein? Ich bin gespannt, ob Papst Franziskus seine Äußerungen zu zivilen Verbindungen homosexueller Paare konkretisiert. Eine spannende Frage gerade auch in der Schweiz, in Deutschland und in Österreich wird sein: Bleiben die Kirchenbänke nach der Corona-Krise so leer oder kann das Gemeindeleben reaktiviert werden?
Raphael Rauch (35) studierte Geschichte (Dr. phil.), Politikwissenschaft und Katholische Theologie. Seit März 2020 ist er Redaktionsleiter von kath.ch, einem Nachrichtenportal, das vom Katholischen Medienzentrum im Auftrag der römisch-katholischen Kirche in der Schweiz betrieben wird.
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