Wie will ich im Alter wohnen? – Diese Frage hat die Architektin Freya Brandl für sich bereits beantwortet. Ein Gespräch über gemeinschaftliches Wohnen – eine Lebensweise, die "wach hält".
Ausgabe: 2018/09
27.02.2018 - Christine Grüll
Die Dame auf der Bühne war über 80 Jahre alt. Sie hatte ein Gedicht geschrieben und nun trug sie es vor. Die Menschen im Gemeinschaftsraum hörten ihr aufmerksam zu. Dann kam der Applaus. – „In diesem
Alter als vollwertig angesehen, ja bewundert zu werden, wo gibt es das bei uns?“, fragt Freya Brandl. Die Architektin hat diese Szene bei einem Besuch in einem schottischen Dorf erlebt. Hier leben verschiedene Generationen bewusst miteinander. Gemeinschaftliches Wohnen ist ein Thema, mit dem sich Freya Brandl schon seit Jahren beschäftigt. Nach dem Tod ihres Mannes und nachdem die Kinder ausgezogen sind, war sie allein in ihrer großen Wohnung. Eine passende Wohnform für Menschen ab 60 gab es nicht. Seitdem hat Freya Brandl in anderen Ländern „probegewohnt“, mit Interessierten einen Verein gegründet, gemeinschaftliche Wohnprojekte geplant und eine Forschungsarbeiten für die Stadt Wien verfasst. Welche Erkenntnisse hat sie gewonnen?
Synergien nutzen
Der Bau von Gemeinschaftsprojekten spart Fläche, Energie und Kosten. Das konnte Freya Brandl mit den Forschungsarbeiten belegen. Ziehen ältere Menschen aus den ehemaligen Familienwohnungen in kleine Wohneinheiten eines Gemeinschaftsprojektes, wird wieder Platz für junge Familien frei. Auch bei der Pflege können Kosten gespart werden. Mobile Dienste fahren schon jetzt zu vielen einzeln wohnenden Menschen. Beim Gemeinschaftsprojekt erreicht ein Besuch gleich mehrere Bewohner/innen. Jeder Mensch soll so lang wie möglich in der eigenen Wohnung bleiben können, wenn er das möchte.
Doch Freya Brandl wünscht sich von politischen Vertreter/innen, dass sie nicht nur diese Wohn- und Pflegeform fördern. „Denn das vergattert die Menschen dazu, allein zu leben – so lange es geht!“ Dabei steigt das Interesse an alternativen Wohnformen. Mit ihrem Verein Kolokation hat Freya Brandl zusammen mit anderen bereits zwei Projekte geplant. Das Interesse daran ist groß. Das hat nicht nur mit Fakten zu tun, sondern vor allem mit dem, was diese Wohnform verspricht: ein selbstbestimmtes Leben in Gemeinschaft.
Soziale Aspekte
„Es geht hier um viele soziale Aspekte“, sagt Freya Brandl. Gemeinschaftlich wohnen bedeutet, seine Lebensweise zu verändern und eine neue Form des Zusammenlebens zu lernen. Das ist gerade im fortgeschrittenen Alter nicht immer einfach. Regeln müssen gemeinsam erstellt und eingehalten, Konflikte ausgetragen werden. Gemeinschaftlich wohnen heißt aber vor allem, einander zu helfen, miteinander zu feiern, sich regelmäßig auszutauschen. Die Bewohner/innen haben viel erlebt und viel zu erzählen. Manche haben gute Ideen oder führen Projekte weiter, die andere mitreißen. „Das hält einen wach“, ist Freya Brandl überzeugt. Bald wird sie selbst in ein Wohnprojekt ziehen, das mit den Mitgliedern des Vereins entwickelt wurde. Fünfzehn Wohnungen stehen in einer Etage eines neugebauten Hauses für sie bereit.
Ehrenamt
Die Planung hat viel Energie und ehrenamtliche Arbeit gekostet. In Österreich gibt es keine kommunale Stelle für gemeinschaftliches Wohnen – so wie z.B. in Deutschland. Auch in den skandinavischen Ländern, in Schottland, den USA oder Korea gibt es diese Lebensformen für Ältere bereits. Österreich soll dazugehören. Freya Brandl und ihr Verein arbeiten daran. «
- Freya Brandl spricht am 1. Kongress für Sozial-betreuungsberufe am Do., 8. März 2018 in der Arbeiterkammer OÖ in Linz, Volksgartenstr. 40, www.fsbkongress.at, Tel. 0732/77 20-591 41.
Zum Thema "Generationenübergreifendes Wohnen": Ein kleines Dorf in einem Haus