Auch wenn die Tora, die fünf Bücher Mose, die ewige Weisung Gottes ist, bedarf sie stets neuer Auslegung. Um das rechte Verständnis für heute zu ringen, ist im Judentum selbstverständlich.
Aus der Serie "Die Evangelien als jüdische Texte", Teil 2 von 4.
Ausgabe: 2018/02
09.01.2018 - Markus Himmelbauer
Auch wenn die Tora, die fünf Bücher Mose, die ewige Weisung Gottes ist, bedarf sie stets neuer Auslegung. Um das rechte Verständnis für heute zu ringen, ist im Judentum selbstverständlich.
In der Tradition Israels haben die Propheten immer wieder mit zum Teil drastischen Worten den Blick auf das Wesentliche gelenkt: Etwa wenn ein namenloser Prophet (Jes 66) den Opfergottesdienst kritisiert. Selbst wenn er ihn sogar ganz für nichtig erklärt, so stellt das provokative Wort keinesfalls die Geltung der Tora infrage.
Der Sabbat
Neben den Propheten stehen die Schriftgelehrten. Der Talmud, die jüdische Tradition der Auslegung der Tora, deren frühe Quellen nahe an die Zeit der Evangelien herankommen, überliefert deren Diskussionen. Etwa: Warum verdrängt Lebensgefahr die Ruhe am Sabbat? Die hebräisch-jüdische Tradition spricht vom Schabbat, im Christentum hat sich die griechische Bezeichnung Sabbat durchgesetzt. „Es antwortete Rabbi Eliasar ben Asaria und sagte: Wenn die Beschneidung , die doch nur eines der 248 Glieder des Menschen betrifft, den Schabbat verdrängt, um wie viel mehr verdrängt dann Lebensgefahr den Schabbat! – Rabbi Jonathan ben Jossef sagt: ‚Denn er soll euch heilig sein‘ (Ex 31,14) – er ist in eure Hand ausgeliefert, nicht ihr in seine.“ Von einem anderen Rabbiner wird das Argument überliefert: „Es heißt: ‚Ihr sollt meine Satzungen und meine Rechtsentscheide bewahren. Wer sie einhält, wird durch sie leben‘ (Lev 18,5) und nicht, er wird durch sie sterben.“
Konsens
Ähnlich eine Diskussion im Markusevangelium (Mk 2,23): „Und Jesus sagte zu ihnen: Der Sabbat wurde für den Menschen gemacht, nicht der Mensch für den Sabbat. Deshalb ist der Menschensohn Herr auch über den Sabbat.“ Nach der Heilung eines Mannes mit einer verdorrten Hand sagt Jesus: „Was ist am Schabbat erlaubt – Gutes zu tun oder Böses, ein Leben zu retten oder es zu vernichten?“ In einer rabbinischen Diskussion heißt es: „Rabbi Schimeon ben Gamliel sagte, man entweihe wegen eines Kranken einen Schabbat, auf dass er viele kommende Schabbatruhen einhalte.“ Wenn Jesus sagt, dass Gesundheit und das Wohl der Menschen und Tiere Vorrang vor dem Sabbat-Gebot haben, entspricht das bis heute einem breiten Konsens innerhalb des Judentums.
Nähe
In der Sache kommen Evangelium und Talmud einander ziemlich nahe. Doch dass Jesus seine Predigt von der Gegenwart Gottes so unbedingt an seine Person und an seine mystische Nähe zum Ewigen bindet, das ist für viele in seiner Umwelt damals und für das Judentum heute nicht nachvollziehbar. Aus dieser Vollmacht heraus hat Jesus seine Auslegung der Tora gelehrt – keinesfalls deren Überwindung.
Das Konzil von Laodicea war eine Kirchenversammlung in der Mitte des vierten Jahrhunderts. Kanon 16 verfügt, dass am Sabbat die Evangelien gelesen werden müssten. Es gab also Gottesdienste am siebten Tag. Gleichzeitig wendet sich Kanon 29 gegen die „Judaisierer“, die den Sabbat halten. Offensichtlich haben bis ins vierte Jahrhundert christliche Gemeinden die Worte Jesu nicht so verstanden, als würden sie den Sabbat abschaffen. «
Am 17. Jänner 2018 feiert die Kirche den Tag des Judentums.Die Evangelien als jüdische Texte. Betrachtungen zum Tag des Judentums von Markus Himmelbauer, Teil 2 von 4.