Kaum etwas kann so schnell unmodern sein, wie das Wörtchen „modern“. Was gestern modern war, wirkt heute manchmal altmodisch. Ein Leitartikel von Christine Grüll.
Ausgabe: 2017/36
05.09.2017 - Christine Grüll
Das kann die Einrichtung eines Wohnzimmers sein, der Schnitt einer Kleidung oder die Art und Weise, Kinder zu erziehen. Der Anstand gehört auch dazu. Er geht mit der Zeit. Der Anstand hat mit Benehmen zu tun, mit moralischem Verhalten. Das ist sein unveränderlicher Kern. Doch was genau unter Anstand fällt, wird immer wieder neu verhandelt. In Politik, in Gesellschaft und im kleinen Kreis der Familie.
Der Präsident der Vereinigten Staaten bringt Regeln des Anstands gerade ins Wanken. Die einen finden es gut, dass er sich von alten Regeln löst. Die anderen sind irritiert. Er verletzt ihr Anstandsgefühl. Am Präsidenten zeigt sich – die Grenzen des Anstands sind fließend: Auf sich und seine Familie schauen und dabei Rücksicht auf die Mitmenschen nehmen, das gehört zu einem anständigen Leben dazu. Aber viele nehmen das mit der Rücksicht nicht so genau. Es hindert sie am eigenen, zügigen Vorwärtskommen.
Der Anstand ist nicht streng, sondern großzügig. Aber hin und wieder hält er einen Spiegel vor. Dann zeigt sich, ob das eigene Bild ein paar Korrekturen benötigt – oder vielleicht doch ganz sympathisch ist.