KOMMENTAR_
Es gehört zu den einschneidenden Erfahrungen menschlicher Existenz, dass man mit jedem Ja zugleich Nein sagen muss. Wer eine Berufsausbildung beginnt, dem verschließen sich andere Jobmöglichkeiten. Wer eine Partnerin, einen Partner wählt, verzichtet auf andere Menschen, mit denen es vielleicht auch gepasst hätte. Manche Entscheidung kann man später wieder ändern – oft nur unter großem Aufwand –, aber die Zeit als solche kann man nie zurückdrehen und Geschehenes niemals rückgängig machen. Dieser Dramatik des Lebens kann niemand entrinnen. Es gibt das Ja nur verbunden mit einem Nein.
Nicht anders ist es im biblischen Glauben: Wird Israel aus der Sklaverei geführt, geschieht nicht nur fröhliche Befreiung, sondern zugleich stürzt das böse Heer des Pharao ins Meer und ertrinkt. Wo Jesus in der Wüste fastet, in Versuchung geführt wird und seine Berufung findet, da sagt er nicht nur Ja zum Gott Israels, sondern auch Nein – und zwar zum „Satan“, dem „Gegner“, wie es auf Hebräisch heißt.
„Widersagt ihr dem Satan?“ Diese Frage wird in der römisch-katholischen Osternachtsfeier, im Ritus der Taufe und bei der Erneuerung des Taufversprechens (zum Beispiel bei Firmung oder Erstkommunion) gestellt. Bei der Taufe nach ostkirchlichem Brauch geschieht das ebenfalls, und zwar in einer besonderen Weise: Der Täufling widersagt dem Satan, indem er sich Richtung Westen aufstellt und Richtung Sonnenuntergang spricht. Anschließend dreht er sich Richtung Osten, zum Sonnenaufgang, und bekennt seinen christlichen Glauben. Dieses rituelle Szenario macht deutlich: Ja und Nein sollen bewusst erfahren, körperlich erlebt werden. Ja und Nein werden symbolisch zelebriert, so wie ja auch „Satan“ ein symbolischer Name ist. In ihm bekommt das Böse eine konkrete Gestalt: So kann man ihn anschauen, Nein sagen und sich von ihm abwenden.
Gewiss gibt es gute Gründe, bei diesem Ritual vorsichtig zu sein: Zu oft schon haben Christen das Böse in konkreten Menschen personifiziert, die sie dann in vermeintlich heiliger Mission verfolgt, ausgegrenzt, ermordet haben. Mal waren es Juden, mal Christen anderer Konfession, mal angebliche Hexen und heute droht Europa vergiftet zu werden von der Wahnvorstellung, Ausländer, Flüchtlinge oder Muslime seien die Gestalt des Bösen. Das Nein, das Christen zum Satan sprechen, darf sich niemals zum Beutezug gegen reale Menschen verselbstständigen. Es darf nicht losgelöst sein vom Ja zum Gott Israels und zum Weg Jesu Christi. Das Nein zum Satan ist kein Selbstzweck, sondern die Kehrseite des Ja zu Gott. Das Ja ist das eigentliche Ziel. Um ernsthaft Ja zu sagen, muss man sich aber bewusst machen, welches Nein damit verbunden ist. Es ist kein bequemes Ja, sondern ein existenzielles. Das ist der „heilige Ernst“ im „heiligen Spiel“ des Rituals, in dem Christen dem Satan widersagen.
Zelebrant: Widersagt ihr dem Satan?
Eltern und Paten: Ich widersage.
Zelebrant: Und all seinen Werken?
Eltern und Paten: Ich widersage.
Zelebrant: Und all seinen Verlockungen?
Eltern und Paten: Ich widersage.
(Das ist die erste von drei möglichen Frageformen, der Satan kommt in allen vor.)
Zum Teil 3 der Serie "Alte Sätze neu betrachtet" >>
KOMMENTAR_
DENK_WÜRDIG
Jetzt die KIRCHENZEITUNG 4 Wochen lang kostenlos kennen lernen. Abo endet automatisch. >>
BRIEF_KASTEN