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Der Gebetstext „bewahre uns vor der Hölle“ kommt nirgendwo in der Liturgie der katholischen Kirche vor. Er ist Bestandteil des „Fatima-Gebets“, das sich ab 1917 aus dem gleichnamigen portugiesischen Wallfahrtsort verbreitet hat und mancherorts in das Rosenkranzgebet eingefügt wird. Vielen ist es daher vertraut geworden. Mit der vom Zweiten Vatikanischen Konzil vorgenommenen Unterscheidung zwischen „offizieller“ Liturgie der Kirche und den vielen anderen Erscheinungsformen des Glaubens darf man sagen: Das Katholischsein hängt nicht an diesem Text, geschweige denn das Christsein. Niemand ist verpflichtet, so zu beten.
Besondere Sympathie für diese Gebetsformel habe ich ehrlich gesagt nicht. Da steigen zu viele Bilder auf, die mit schlechten Erinnerungen verbunden sind – bei mir selbst oder bei anderen. Wenn sich heutzutage so viel Wut gegen das Christentum, mehr noch: gegen jede Religion ihre Bahn bricht, dann liegt das gewiss auch daran, dass viele Menschen religiösen Glauben als zerstörerisch, lebensfeindlich, rechthaberisch und übergriffig wahrnehmen.
Wir religiösen Menschen müssen uns selbstkritisch fragen, ob wir nicht selbst zu diesem Bild beitragen. Bestimmte fromme Formeln lassen eben bei Kindern und Jugendlichen und bei Außenstehenden sofort Bilder von Angst und Disziplinierung aufsteigen: Tu dies nicht, tu das nicht, sonst kommt ein kleinkrämerischer Gott vorbei, packt dich und wirft dich in die Hölle!
Aber Gottesglaube darf nicht auf Angst aufbauen. Erstens wäre das Verrat an der Botschaft von der Befreiung Israels aus Ägypten und von der Befreiung Jesu aus dem Tod, und zweitens wäre ein solcher Glaube ohnehin nicht tragfähig: Eine Beziehung, die auf Angst aufbaut, kann nicht von Dauer sein.
Dennoch gibt die Gebetsformel „bewahre uns vor dem Feuer der Hölle“ einen wichtigen Hinweis: Gemeinschaft mit Gott können wir uns nicht durch eigene Leistung verdienen, wir können sie nur geschenkt bekommen. Sie ist kein Automatismus, auf den wir einen Anspruch hätten. Deshalb ist es angemessen, darum zu bitten. Jedem Menschen steht es frei, sich von Gott abzuwenden, zu ihm Nein zu sagen: heute, morgen, am Ende des Lebens und darüber hinaus. Das völlige Fehlen der Gemeinschaft mit Gott aber – so sieht es der biblische Glaube – ist dunkel, heillos, trostlos, ist im wahrsten Sinn des Wortes die Hölle. Das kann und will man niemandem wünschen, nicht einmal dem schlimmsten Feind. Deshalb ergibt es durchaus Sinn, darum zu beten, dass einem die Hölle erspart bleibt.
Der Text ist weit verbreitet und wird vielerorts in bester Absicht gebetet, oft vielleicht ganz automatisch. Darum wäre es gut, sich vor Augen zu führen, dass es auch hier vor
allem um die Barmherzigkeit Gottes geht. Und es wäre gut, Menschen, die Probleme mit dem Text haben, klar zu sagen, was man eigentlich mit diesem Gebet meint.
Persönlich würde ich es vorziehen, die Sache von der anderen Seite anzugehen und das Anliegen in einer Weise auszudrücken, die einlädt und ermutigt: „Schenke uns deinen Geist, damit wir mit deiner Kraft voll Zuversicht unseren Weg gehen, mit dir und zu dir, heute, morgen und für alle Zeit.“
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