Christen arbeiten am Erbe der letzten Kolonialmacht: Wollen das Schweigen über Osttimor brechen
Ausgabe: Portugal, Osttimor, Ana Nunes, Menschenrechtsverletzungen, Brasilien, Angola, Mosambik, Guinea-Bissau, Kap Verden, São Tomé, Principe, Macao, „A Paz é Possível em Timor Leste“, Waffengeschäft, Friedensnobelpreis, Carlos Belo, Osttimor, Dili, Ramos Horta
15.07.1998 - Kirchenzeitung der Diözese Linz
1974, der Sturz der rechtsgerichteten Diktatur in Portugal, brachte den Anfang vom Ende für die Kolonialmacht. Gleichzeitig war es der Auftakt für Christen, die sich für eine gerechte Welt einsetzen.„Es ist ein heroisches Bild, das heute von der kolonialen Vergangenheit in Portugal gezeichnet wird“, beschreibt Ana Nunes die öffentliche Meinung in der letzten Kolonialmacht des 20. Jahrhunderts. Aber, so ergänzt Nunes, Generalsekretärin von „Friede in Osttimor ist möglich“, die Öffentlichkeit weiß auch über die Situation in Osttimor Bescheid. „Es vergeht kaum ein Tag, wo nicht in Radio und Fernsehen über die Menschenrechtsverletzungen und das Streben nach Unabhängigkeit der 1975 von Indonesien besetzten ehemaligen Kolonie berichtet wird.“Zehn Millionen Portugiesen leben heute in jenem Land der Iberischen Halbinsel, das im äußersten Westen Europas liegt und zu dem auch die autonomen Regionen der Atlantikinseln Madeira und Azoren zählen. Doch mehr als 200 Millionen sprechen Portugiesisch; alleine in Brasilien, das sich bereits 1822 vom Mutterland lossagte, sprechen 160 Millionen jene Sprache, wie sie auch in Angola, Mosambik und Guinea-Bissau, auf Kap Verden oder São Tomé und Principe gesprochen wird. Bis 1976 waren diese fünf afrikanischen Staaten Teil Portugals. Nur Osttimor zählt heute noch zu Portugal wie die kleine Enklave von Macao, deren Integration an Festlandchina für den 21. Dezember 1999 vereinbart ist.Blutiges ErbeSeit 1974, dem Sturz der Rechtsdiktatur, sind in Portugal Gruppen und Institutionen entstanden, die das Erbe der blutigen Kolonialgeschichte versuchen aufzuarbeiten. „Friede in Osttimor ist möglich“ ist nur eine von vielen Organisationen, in denen Christen den Anstoß zur Aktion gegeben haben und die den Kontakt zwischen den Kirchen in den Mittelpunkt stellt.„Lange wurde der Krieg, den Indonesien auf brutalste Weise führt, total ignoriert“, klagt Ana Nunes von „A Paz é Possível em Timor Leste“. Obwohl mehr als 200.000 Menschen getötet wurden, war es kein Thema für westliche Regierungen, selbst nicht, als 1986 Portugal der EG beitrat. „Sie haben es vorgezogen, Waffen zu verkaufen.“ Richtig aufmerksam für die Menschenrechtsverletzungen in Osttimor wurde die Weltöffentlichkeit erst 1996, als der Friedensnobelpreis an Carlos Belo, Bischof der osttimoresischen Hauptstadt Dili, und an Ramos Horta, den Anwalt des timoresischen Volkes, verliehen wurde. Bereits 1982 hatte sich in Lissabon Katholiken zusammengefunden, die überzeugt war: „Friede in Osttimor ist möglich.“ Eines der Ziele ist es, so Generalsekretärin Nunes, „die Unsichtbarkeit zu durchbrechen, zu der Osttimor verdammt ist“. Darum werden „Internationale christliche Beratungen über Osttimor“ organisiert, die im September 1998 zum neunten Mal in Paris stattfinden. Aber auch Hilfe für timoresische Flüchtlinge ist zentrales Anliegen der Organisation, mehr als 3000 leben derzeit in Portugal.Ana Vicente, Lissabon