Interview mit Landesschulratspräsident Dr. Johannes Riedl
Die moderne Schule ist ein Lernbuffet
Ausgabe: Landesschulrats-Präsident Dr. Johannes Riedl, Schule
09.07.1998 - Ernst Gansinger
KIZ: Wie sehr ist die Schule in der Gesellschaft verankert? Nimmt die Gesellschaft als Gesamtheit, über die unmittelbar Betroffenen – Lehrer, Schüler, Eltern – hinaus an der Schule teil? Präsident Dr. Johannes Riedl: In der jetzigen Elterngeneration ist ein großes Interesse am schulischen Geschehen vorhanden. Der veröffentlichte Diskurs aber in den Medien, jener zwischen Journalisten und Bildungspolitik, ist nicht deckungsgleich mit dem, was Eltern und Jugendliche über Schule denken, was Schule leistet. Es ist eine eigene Wirklichkeit. Die Kritik an der Schule stimmt mit der Wirklichkeit an der Schule nicht überein. Die Debatte läuft immer nur in die Organisationsfalle. Gesamtschule ja oder nein, Ziffernnote abschaffen?, Polytechnikum abschaffen?, das alles sind organisatorische Fragen. Der Blick für die Innenseite der Schule ist verlorengegangen, der Blick auf Bildung und Erziehung. Da leisten unsere Lehrer/innen sehr viel. KIZ: Und wie schaut die Innenseite aus? Riedl: Die Veränderung der Schulorganisation hat nicht die Wirkung, die man ihr zuschreibt. Die Qualität der Schule liegt in der Qualität des Unterrichts. Heute ist eine Volksschulklasse sehr viel mehr ein Lernbuffet, wo Schüler das Lernprogramm teilweise selbst gestalten können. Es wurde zu keiner Zeit soviel Rücksicht genommen auf das individuelle Tempo des Kindes. Das gilt auch in den weiterführenden Schulen. KIZ: Die Qualität der Schule, sagen Sie, ist die Qualität des Unterrichts. Und diese steht und fällt aber mit den Lehrern. Riedl: Weil die Lehrerschaft so engagiert tätig ist, erlebt sie die Diskrepanz zur öffentlichen Diskussion außerordentlich schmerzlich und die Diskussion über das Lehrergehalt als ungerecht. Die Diskussion hat die Lehrer sensibilisiert, wie der Staat mit ihnen umgeht. Einerseits ist selbstverständlich, daß nicht gehaltene Überstunden nicht bezahlt werden, andererseits werden Mehrstunden nicht abgegolten, die weit über die Dienstpflichten hinaus geleistet werden. Wir müssen uns vor Augen halten, daß die Arbeitsbedingungen der Lehrer die Lernbedingungen der Schüler sind. Der Grad der Berufszufriedenheit ist von großer Bedeutung für das Szenarium von Schule als Ort der Begegnung. Erzeugt dieses der Lehrer nicht, wird Schule zur bloßen Informationsagentur. In einer Morgenbetrachtung habe ich ein Zitat von Bernhard von Clairvaux gehört, das sehr gut beschreibt, was Schule soll: „Begriffe bewirken Wissen, Ergriffenheit bewirkt Weisheit.“ KIZ: Sie kritisieren, daß Schule zuwenig von innen gesehen wird. Riedl: Das Tempo steigt, jedes Jahr gibt es Novellen zu schulrelevanten Gesetzen. Das dem Kind gemäße Tempo ist aber nicht das gesellschaftliche Tempo. Es muß zu einer Entschleunigung kommen; wir müssen Öffentlichkeit auf die Innenseite der Schule hinlenken. KIZ: Schauen wir auf die Innenseite. Was soll und kann Schule leisten? Wann hat sie Niveau? Riedl: In der Schule soll Allgemeinbildung vermittelt werden. Aber was ist Allgemeinbildung? Ist der allgemein gebildet, der eine Fülle von Informationen gespeichert hat, der weiß, wie hoch der Kilimandscharo ist, wieviele Blütenblätter die Margarite hat . . . Es ist noch zu sehr Brauch, daß etwas auswendig gelernt wird, ohne es zu verstehen. Selbständigkeit und Solidarität – das sind die Kompetenzen der Zukunft, und darin liegen die Hauptaufgaben der Schule. Das bewirkt auch, je älter die Schüler sind, Partnerschaft zwischen Lehrenden und Lernenden. Bildung ist ein Prozeß, in dem ich bereit bin, mit anderen zu teilen. Ich behaupte, daß die Schule erzieherisch und in der Unterrichtsvermittlung zu keiner Zeit so gut war wie heute. Das Marketing nach außen hin erschwert es der Schule aber, weil die schwächeren Schüler ungleich sichtbarer werden.