Der evangelische Kirchentag zur Feier von „500 Jahre Reformation“ und Fronleichnam: Dass die evangelische und katholische Kirche ihre beiden Feste am Linzer Domplatz mit einer ökumenischen Begegnung abschlossen, war ein herausragendes und bleibendes ökumenisches Zeichen.
Ausgabe: 2017/25
20.06.2017 - Josef Wallner
„Es war schon eine gewisse Spannung da. Wir sind vom Fronleichnamsaltar bei den Marienschwestern in Stille Richtung Dom aufgebrochen“, sagt Christine Lipa-Reichetseder vom Pfarrgemeinderat der Dompfarre. Als die Evangelischen Christen, die am Domplatz Gottesdienst feierten, die Prozession kommen sahen, sind alle aufgestanden. „Zu spüren, dass man erwartet wird, das aufeinander zugehen und dann das Ineinander von katholischer Fronleichnamsprozession und evangelischem Kirchentag – das war einfach wunderschön.“
Vom „Allerschädlichsten Jahresfest“...
Der evangelische Kirchentag am 15. Juni 2017 war die zentrale Veranstaltung zum Gedenken an „500 Jahre Reformation in Oberösterreich“. Eröffnet wurde die Feier, zu der rund 1000 Evangelische aus dem ganzen Bundesland gekommen waren, mit einem Gottesdienst am Domplatz, im Schatten der Bischofskirche, die der unbefleckt empfangenen Gottesmutter Maria geweiht ist. Ein außergewöhnlicher Ort für ein Fest der Reformation. Und das an Fronleichnam, das unter Martin Luther als „allerschädlichstes Jahresfest“ galt. Prozessionen fielen für ihn unter Gotteslästerung. Der Abendmahlstisch des evangelischen Gottesdienstes diente zugleich als der vierte „Fronleichnamsaltar“. An diesem fand die ökumenische Begegnung und das gemeinsame Gebet statt.
...zur Versöhnung
„Bischof Scheuer und ich hätten es uns einfacher machen können: Jede Kirche feiert für sich, im eigenen Stall“, sagte Gerold Lehner, Superintendent der Evangelischen Kirche Oberösterreichs. Aber eine Reformationsfeier ohne katholische Kirche ist für ihn heute nicht denkbar: „Wir wollen an den Faden wieder anknüpfen, der in der Reformation abgerissen ist. Wir haben als Christen den Auftrag zur Versöhnung.“ Diözesanbischof Manfred Scheuer führte die Grußworte des Superintendenten weiter: „Wir feiern nicht das, was uns trennt, sondern das, was uns verbindet: die Freude an Gott und seinem Evangelium. Der gemeinsame Blick auf Christus regelt das Miteinander neu.“ Dabei ist Ökumene kein Selbstzweck. „Wir sind aufgerufen, gemeinsam Zeugnis von Gottes Wirken zu geben. Ich bin zutiefst überzeugt, dass der Glaube für unser Land wichtig ist“, so der Superintendent. Die Heilige Schrift auf der einen und die Monstranz auf der anderen Seite – und dazwischen die beiden Amtsträger, Bischof Scheuer und Superintendent Lehner. Mit dem gemeinsamen Segensgebet wurde die Feier beschlossen.
Franz Gruber, Professor für Dogmatik und Ökumenische Theologie an der Katholischen Universität Linz, kam mit der Fronleichnamsprozession auf den Domplatz. Für ihn war die ökumenische Begegnung ein wichtiges und schönes Zeichen: „Die Leute sehen, dass die Kirchenleitungen in der Ökumene nicht stehen bleiben, sondern weitergehen wollen. Trotzdem war das heute nur ein Schritt in die noch tiefere Einheit.“ Aktuell sieht er ein Zeitfenster, die letzten Hürden auf dem Weg von der versöhnten Verschiedenheit in die gelungene Einheit zu nehmen. Die Welt braucht heute notwendiger denn je das gemeinsame Zeugnis der Kirchen, ist der Theologe überzeugt.
Dass der Einzug der Fronleichnamsprozession auf den Domplatz exakt zum Ende des evangelischen Gottesdienstes stattfand, dafür war Dompfarrer Maximilian Strasser verantwortlich. Er verrät augenzwinkernd das Geheimnis der Zeitplanung: „Wir haben beim dritten Altar längere Zeit gewartet. Das gehört zur Ökumene: Aufeinander in Geduld warten.“ «
Kritik allein hat keine Kraft
Der Superintendent der evangelischen Kirche Oberösterreichs Gerold Lehner erklärte am Evangelischen Kirchentag die Aktualität der Botschaft Martin Luthers. Im folgenden Kernaussagen seiner Predigt: Zwei Wirkkräfte führten zur Reformation, die eine bestand in der Kritik an den Missständen in der Kirche: am moralischen Leben der Amtsträger, am Reichtum und an vielem mehr. Diese Kritik gab es schon vor Martin Luther, sie hat aber bloß das Schimpfen gefördert, innere Kraft hatte sie keine. Sie blieb steril, weil man nicht wusste, wohin es gehen sollte. Luthers Thesen wären ebenfalls eine Episode unter vielen zur allgemeinen Kritik geblieben, wenn nicht noch eine andere Wirkkraft da gewesen wäre. Luther leidet unter dem Bewusstsein: Wenn wir vor Gott treten wollen, dann ist all unser Bemühen nicht gut genug. Wenn Gott gerecht ist, wird es eng. Martin Luther verliert den Boden unter den Füßen. Erst als er begreift, dass Gott Gerechtigkeit nicht fordert, sondern schenkt, kippt alles. Das Dunkel in ihm wird hell, aus Verzweiflung wird Freude. Diese Freude ist im Leben Luthers nie mehr versiegt. Diese Freude an Gott, der Gerechtigkeit schenkt, ist die eigentliche Wirkkraft der Reformation, sie entzündet die Herzen. Martin Luther ist uns zum Brief Christi geworden, wie es im zweiten Korintherbrief heißt. Diese Botschaft lautet: Wir Menschen sind hineingenommen in die Liebe Gottes. Dadurch ist die Reformation kein Ereignis der Vergangenheit, sondern auch heute aktuell. Denn es gibt in uns das „Universum der Angst“: Wir müssen funktionieren, im Beruf zum Beispiel, die Fassade aufrecht erhalten, kämpfen, um oben zu bleiben. Da können wir nie genügen.
Universum der Liebe
Dem steht das Universum der Liebe gegenüber, zu dem Martin Luther befreit wurde. Dieses hat viele Facetten und wird im Alltag konkret: Es zeigt sich in der Dankbarkeit, in der Freude über die Zusage Gottes, im Leiden an dem, was nicht gut ist und im Einander-Ertragen. Die Frage fünfhundert Jahre nach der Reformation lautet: In welchem Land wollen wir leben – im Universum der Angst oder im Universum der Liebe? Die Antwort liegt auf der Hand.