Otto Friedrich ist Religionsjournalist, er war bis April 2024 stellvertretender Chefredakteur der Wochenzeitung „Die Furche“.
Blinde und Lahme, in Erbarmen geleite ich sie heim.
So spricht der Herr: Jubelt Jakob voll Freude zu und jauchzt über das Haupt der Völker! Verkündet, lobsingt und sagt: Rette, Herr, dein Volk, den Rest Israels!
Siehe, ich bringe sie heim aus dem Nordland und sammle sie von den Enden der Erde, unter ihnen Blinde und Lahme, Schwangere und Wöchnerinnen; als große Gemeinde kehren sie hierher zurück. Weinend kommen sie und in Erbarmen geleite ich sie. Ich führe sie an Wasserbäche, auf ebenem Weg, wo sie nicht straucheln. Denn ich bin Vater für Israel und Éfraim ist mein Erstgeborener.
Du bist Priester auf ewig nach der Ordnung Melchísedeks.
Jeder Hohepriester wird aus den Menschen genommen und für die Menschen eingesetzt zum Dienst vor Gott, um Gaben und Opfer für die Sünden darzubringen. Er ist fähig, mit den Unwissenden und Irrenden mitzufühlen, da er auch selbst behaftet ist mit Schwachheit, und dieser Schwachheit wegen muss er wie für das Volk so auch für sich selbst Sündopfer darbringen.
Und keiner nimmt sich selbst diese Würde, sondern er wird von Gott berufen, so wie Aaron. So hat auch Christus sich nicht selbst die Würde verliehen, Hohepriester zu werden, sondern der zu ihm gesprochen hat: Mein Sohn bist du. Ich habe dich heute gezeugt, wie er auch an anderer Stelle sagt: Du bist Priester auf ewig nach der Ordnung Melchísedeks.
Rabbúni, ich möchte sehen können.
In jener Zeit, als Jesus mit seinen Jüngern und einer großen Menschenmenge Jéricho verließ, saß am Weg ein blinder Bettler, Bartimäus, der Sohn des Timäus. Sobald er hörte, dass es Jesus von Nazaret war, rief er laut: Sohn Davids, Jesus, hab Erbarmen mit mir! Viele befahlen ihm zu schweigen.
Er aber schrie noch viel lauter: Sohn Davids, hab Erbarmen mit mir! Jesus blieb stehen und sagte: Ruft ihn her! Sie riefen den Blinden und sagten zu ihm: Hab nur Mut, steh auf, er ruft dich. Da warf er seinen Mantel weg, sprang auf und lief auf Jesus zu.
Und Jesus fragte ihn: Was willst du, dass ich dir tue? Der Blinde antwortete: Rabbúni, ich möchte sehen können. Da sagte Jesus zu ihm: Geh! Dein Glaube hat dich gerettet. Im gleichen Augenblick konnte er sehen und er folgte Jesus auf seinem Weg nach.
Zum zweiten Mal berichtet das Markusevangelium, wie Jesus einen Blinden heilt. Hier geht es aber um viel mehr als bloß um die Heilung von einem körperlichen Gebrechen. Die Erzählung nimmt das Verhalten des Blinden ebenso in den Blick wie die Reaktion der Menschen, die dabei waren. Es ist ein kleines Drama, das sich da auf Jesu Weg von Jericho nach Jerusalem abspielt.
Auffällig ist, dass der Blinde mit seinem Namen identifiziert wird. Jesus wendet sich also einer konkreten Person und ihrem konkreten Leiden zu. Und Bartimäus involviert sich selbst ins Geschehen: Er wartet nicht auf ein göttliches Wunder, sondern drängt sich Jesus förmlich auf. Jesus lässt dies nicht nur zu, sondern gibt Bartimäus zu verstehen: Er muss selber tätig werden und sein Anliegen artikulieren. Er steht auf, wirft seinen Mantel weg, läuft auf Jesus zu mit den Worten: „Ich möchte sehen können!“
Mich fasziniert, dass Jesus dem Bartimäus eine derartig aktive Rolle zumutet. Wegen seines Glaubens und weil er diesen auch ausspricht, wird der Blinde geheilt. Heilung heißt, erzählt die Geschichte, die eigene Passivität zu überwinden und sich buchstäblich auf die eigenen Füße zu stellen.
Aber auch den Begleiterinnen und Begleitern Jesu kommt in diesem biblischen Drama eine Rolle zu: Sie wollen – ganz pragmatisch – den lästigen Bartimäus daran hindern, Jesus zu behelligen. Bartimäus muss also nicht nur die Aufmerksamkeit Jesu erlangen, sondern auch gegen den Widerstand der anderen anschreien. Auch derartige Erfahrungen machen Menschen bis heute. Viele Facetten menschlichen Verhaltens sind in dieser Geschichte fokussiert.
Otto Friedrich ist Religionsjournalist, er war bis April 2024 stellvertretender Chefredakteur der Wochenzeitung „Die Furche“.