Wort zum Sonntag
Viele Menschen im kirchlichen Leben sorgen sich um Berufungen: Es gibt Zentren für Berufungspastoral, Veranstaltungen werden angeboten, um für Berufe im kirchlichen Dienst zu motivieren, und seit einem halben Jahrhundert gibt es sogar einen Weltgebetstag um geistliche Berufe. Viel zu oft geistert dabei aber immer noch die Ansicht herum, geistliche Berufung würde sich ausschließlich auf Priester, Ordensmänner oder -frauen beschränken bzw. nur in diesen institutionalisierten Formen gänzlich ausgeprägt sein. Die biblischen Texte sprechen hierbei aber eine vollkommen andere Sprache.
Den Begriff „Berufung“ hat bereits das Alte Testament geprägt. Gottes Ruf ergeht an eine Person, die einen Auftrag erhält und gleichzeitig auch befähigt wird, diesen auszuführen. Gott bleibt dabei immer selbst der Handelnde, auch wenn die Berufung indirekt durch einen Mittler oder eine Mittlerin (vgl. Richter 4,6) geschieht.
Gott beruft Menschen zu Königen, Feldherren und Propheten – nicht aber zu Priestern am Tempel. Er handelt dabei vollkommen unabhängig von sozialen Kategorien wie Herkunft, Stand, Beruf, Bildung oder Alter. Deutlich wird dies an den vielfältigen Berufungserzählungen der Propheten. Der Viehzüchter und Landaristokrat Amos beispielsweise hat mit den religiösen Eliten am Tempel überhaupt nichts zu tun, gegen den Ruf Gottes kann er sich aber nicht zur Wehr setzen: „Der Löwe brüllt – wer fürchtet sich nicht? GOTT, der Herr, hat geredet – wer wird da nicht zum Propheten?“ (Amos 3,8). Sein Auftreten ist von der Kritik an sozialen und religiösen Missständen geprägt.
Auch Jeremia, eine der prägendsten Prophetenfiguren, fühlt sich selbst nicht geeignet für diese Aufgabe. Auf den Ruf Gottes erwidert er, dass er sich selbst nicht im Stande sieht, als Prophet aufzutreten: Er sei zu jung und könne zudem nicht reden (Jeremia 1,6). Gott aber lässt diese Einwände nicht gelten. Er selbst legt ihm die Worte in den Mund und ermächtigt ihn damit für sein Wirken als Prophet.
„Kommt her, mir nach!“ So ruft Jesus nach den ersten Jüngern (Markus 1,17). Der Evangelist erzählt dabei von ganz individuellen Berufungserfahrungen, die mitten im Alltag geschehen. Menschen verlassen ihre beruflichen Sicherheiten und sozialen Bindungen, um sich der Bewegung Jesu anzuschließen. Diesem Ruf folgen auch jene, die am Rand der Gesellschaft stehen: Zöllner, Frauen und Menschen, die von schweren Leiden geheilt wurden. Der Ruf Jesu ist aber kein Aufruf zu blindem Gehorsam, sondern mündet – wie bei den Propheten – in selbstständiges Handeln und Weitertragen seiner Botschaft (Matthäus 28,16–20; Lukas 10,1–24; Apostelgeschichte 1,8).
Wie es nicht nur die eine Form der Berufungserfahrung gibt, so gibt es auch nicht die eine Antwort auf diesen Ruf. Das galt für die Protagonistinnen und Protagonisten der biblischen Texte und hat bis heute nichts an Gültigkeit verloren. Und genauso wie einst gilt es auch heute, mit Mut den eigenen Ruf wahrzunehmen. Dabei dürfen wir darauf vertrauen, dass Gott nicht nur ruft, sondern auch die Fähigkeiten und Talente mitgibt, diesem Ruf zu folgen. «
- Anregung:
Wo spüre ich Gottes Ruf in meinem Leben?
Wohin wird mich meine persönliche Berufung führen?
Teil 2 von 4
Reinhard Stiksel, Referent im Bibelwerk Linz
Wort zum Sonntag
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