Wort zum Sonntag
Sie haben sich als Mitherausgeber eines Buches intensiv mit dem Verhältnis von Sozialdemokratie und katholischer Kirche auseinandergesetzt. Woher kommt dieses spezielle Interesse das etwas abseits Ihres üblichen Forschungsgebietes liegt?
Gmainer-Pranzl: Es kommt daher, dass ich als Kind in den 70er Jahren in Steyr in die Schule gegangen bin. Steyr war und ist einfach eine sehr stark SPÖ-dominierte Stadt. ich habe aber in meinem Umfeld immer wieder mitbekommen, dass es einfach ziemliche Spannungen zwischen Arbeiterschaft und Kirche gibt. In Österreich schleppen wir diese Geschichte aus der Ersten Republik mit und es muss ja ein Anliegen der Kirche sein, sich damit auseinanderzusetzen.
Grob skizziert, was waren die historischen Gründe für die Feindschaft zwischen Sozialdemokratie und Kirche?
Gmainer-Pranzl: Die Kirche wurde seit dem 19. Jahrhundert als eine Kirche wahrgenommen, die immer auf Seiten der Bürgerlichen, der Bauern ist, die mit der Arbeiterbewegung nicht recht viel anfangen kann. Da hat sich schon eine gewisse Entfremdung herausgestellt. Die Angst der Kirche war außerdem, dass ihr die Arbeiterbewegung die Leute wegnimmt.
Was machte die Sozialdemokratie für die Arbeiterinnen und Arbeiter attraktiv?
Gmainer-Pranzl: Faktum ist, dass die Arbeiter damals, am Ende des 19. und Beginn des 20. Jahrhunderts, in Wien wirklich unter verheerenden Umständen im Elend gelebt haben. Es war dann auch kein Wunder, dass sich die Menschen organisierten und das Gefühl hatten, die Sozialdemokratie kümmert sich darum, dass man aus dem Elend rauskommt. Die Kirche war eher im karitativen Bereich tätig, man hat sich um Suppe anstellen können. Aber dass man die politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse wirklich ändern will, das hat es zu dieser Zeit in der katholischen Kirche nicht gegeben.
In der Ersten Republik eskalierte der Konflikt dann.
Gmainer-Pranzl: Ja, in der Ersten Republik ist das immer mehr aufeinandergeprallt. Und es war gar nicht unähnlich wie heute: Das rote Wien gegen den schwarzen Rest des Landes. Die Christlichsozialen haben mit den Deutschnationalen im sogenannten „Bürgerblock“ regiert. Es war ein wechselseitiges Vereinnahmen zwischen Christlichsozialen und katholischer Kirche. Auf der anderen Seite hat es von Seiten der Kirchen so gut wie keine Dialoge mit den Sozialdemokraten gegeben. Im Gegenteil, man hat dagegen gewettert. Man hat sie verurteilt.
Wann begann sich das Verhältnis zwischen SPÖ und katholischer Kirche zu entspannen?
Gmainer-Pranzl: Nach dem Nationalsozialismus, nach 1945, war generell der Wunsch stark, miteinander die Zukunft zu gestalten, und von daher hat es keinen offenen Konflikt mehr gegeben. Bruno Kreisky hat sehr viele Brücken ins bürgerliche Lager zur Kirche geschlagen. Kardinal Franz König hatte umgekehrt eine große Dialogfähigkeit, was zur Entspannung beigetragen hat. Ein nachhaltiges Interesse für Dialog ist daraus aber nicht entstanden.
Also ist die Beziehung noch ausbaufähig?
Gmainer-Pranzl: Unter der Decke ist häufig eine gewisse Befremdung geblieben. De facto ist auch am Land die Haltung so: Die Schwarzen ÖVPler sind die Katholischen und wenn der Rote in die Kirche geht, ist es ein Wunder.
Tatsächlich gibt es aber in der SPÖ natürlich mehr bekennende Agnostiker und Atheisten als in der ÖVP. Ist das ein Grund für das Fremdeln zwischen SPÖ und katholischer Kirche?
Gmainer-Pranzl: Natürlich. Denken wir an die „Internationale“, das Lied, in dem es unter anderem heißt: „Es rettet uns kein höh’res Wesen, kein Gott, kein Kaiser noch Tribun. Uns aus dem Elend zu erlösen können wir nur selber tun.“ Dies kommt aus der marxistischen Religionskritik, dass Religion wie ein Betäubungsmittel ist, um die elenden sozialen Zustände zu vernebeln. Natürlich gibt es in der Sozialdemokratie Leute, so wie auch in anderen Parteien, die sich als konfessionslos bezeichnen würden. Aber da fängt der Dialog an, wenn man völlig deckungsgleich ist, gibt es keinen Anlass, den Dialog zu führen.
Welche Lehren kann die Kirche aus dem Konflikt mit der Sozialdemokratie ziehen?
Gmainer-Pranzl: Die Kirche muss sich ihres gesellschaftlichen Standortes bewusst werden und muss die Option für die Armen leben, für die Schwachen einstehen. Sie soll nicht einfach nur hoffen, dass irgendeine politische Bewegung der Kirche die Arbeit abnimmt. Die Kirche muss ihre Eigenständigkeit bewahren und mit allen gesellschaftlichen Kräften im Dialog sein.
Mit dem Wort der Äquidistanz wird immer wieder daran erinnert, dass die katholische Kirche zu allen politischen Parteien den gleichen Abstand einhalten soll. Wird dieser Anspruch in der Realität eingelöst?
Gmainer-Pranzl: Da steckt das Mariazeller Manifest aus dem Jahr 1952 dahinter, wo die Kirche dann mit Blick auf die Erste Republik gesagt hat, sie will sich nicht mehr sich von einer Partei vereinnahmen lassen. Natürlich wissen wir alle, dass es die Äquidistanz nicht gegeben hat und es heute nicht gibt. Dass es nach wie vor eine Nähe zwischen katholisch und ÖVP gibt. Das ist schlicht ein Faktum. Und das verbergen Vertreter der ÖVP auch gar nicht. Ich glaube, dass es wichtig ist, dass die Kirche in wichtigen Anliegen mit Parteien und Bewegungen und Gruppen kooperiert, dass sie Allianzen bildet. Das kann einmal mehr die eine Partei sein und einmal die andere.
Sollte die katholische Kirche aktuell Allianzen mit neuen politische Bewegungen schmieden wie zum Beispiel Fridays für Future?
Gmainer-Pranzl: Wenn sie Kirche und nicht Sekte sein will muss sie mit gesellschaftlichen Kräften im Dialog sein. Dialog heißt ja nicht, dass man verschmilzt mit denen oder dass man heute 100 Prozent übernimmt, sondern es heißt man lernt, dass man hier die Augen öffnet für wichtige Fragen. Und dass sich eben hier sich auch Allianzen bilden können Kampf gegen Klimawandel. Allianzen kann man bilden mit Gruppierungen, mit denen man vielleicht stimmen mal weltanschaulich ist nicht so hundertprozentig übereinstimmt. «
Zur Sache
Neuerscheinung. In dem Sammelband „Katholische Kirche und Sozialdemokratie in Österreich“wird das spannungsvolle Verhältnis von Kirche, Arbeiterschaft und ihrer politischen Vertretung analysiert.
Franz Gmainer-Pranzl,Martin Jäggle, Anna Wall-Strasser (Hg.): Katholische Kirche und Sozialdemokratie in Österreich. Ein (selbst-)kritischer Blick auf Geschichte und Gegenwart, Wagner Verlag, 2021.
Zum Bild: Franz Gmainer-Pranzl wuchs in Ternberg auf und ging im „roten“ Steyr in die Schule. Der 55-jährige Priester und Unversitätsprofessor leitet das Zentrum Theologie Interkulturell und Studium der Religionen an der theologischen Fakultät der Universität Salzburg. privat
Wort zum Sonntag
Jetzt die KIRCHENZEITUNG 4 Wochen lang kostenlos kennen lernen. Abo endet automatisch. >>