Wort zum Sonntag
Politischer Widerstand dürfe nicht losgelöst werden von Ethik und Recht, von Freiheit, Gerechtigkeit, Menschenwürde und Menschenrechten.
"Widerstandskämpfer sind so gesehen wie Leuchttürme gegen die Resignation in das Schicksal, sie bezeugen, dass der Einzelne nicht einfach machtlos naturalen Prozessen ausgeliefert ist", sagte Scheuer am Sonntagmorgen bei einem ökumenischen Gottesdienst im früheren KZ, mit dem das Gedenken zum 77. Jahrestag der Befreiung des Lagers ihren Auftakt nahm. Mitfeiernde waren der evangelische Bischof Michael Chalupka und der orthodoxe Erzpriester Ioannis Nikolitsis.
Der Linzer Bischof verwies in seiner Predigt exemplarisch auf das Lebenszeugnis einiger Menschen, die aus christlicher Motivation politischen Widerstand geleistet hatten. Dabei nannte er den aus Hörbranz (Vorarlberg) stammenden Josef Anton King (1923-1945), der so wie der Wiener Kaplan Heinrich Meier (1908-1945) in den letzten Tagen des Nazi-Regimes ermordet wurde. Ausdrücklich erwähnte Scheuer Dietrich Bonhoeffer (1906-1945), den einzigen evangelische Pfarrer, der das Attentat auf Hitlers befürwortet und mit vorbereitet hatte. Von ihm stammen die bekannten Worte: "Wir können nicht nur die Wunden der Opfer verbinden, wir müssen dem Rad in die Speichen fallen", die Ausdruck Bonhoeffers Überzeugung waren.
Wie der Stellvertretende Vorsitzende der Bischofskonferenz weiter ausführte, finde aktiver Widerstand seine Begründung in dem auch von der katholischen Sittenlehre anerkannten Recht auf Notwehr, das geltend gemacht wird, um den Staat auf seine Gemeinwohlfunktion zu beschränken. Gleichzeit warnte Scheuer aber auch vor einem falsch verstandenen und religiös aufgeladenen Märtyrertum im Zusammenhang mit politischem Widerstand und sagte: "Jede zwanghafte, fanatische oder hysterische Identitätssicherung ist eine ideologische Perversion und auch eine Zerrform des Glaubens."
Der Einsatz von Widerstandskämpfern für Gerechtigkeit habe schließlich auch einen inneren Berührungspunkt mit dem christlichen Glauben, so der Linzer Bischof abschließend: "Die Botschaft Jesu vom Gericht Gottes stellt in Aussicht, dass die Sehnsucht des Menschen nach einer letzten und endgültigen Gerechtigkeit keine leere Hoffnung bleibt. Dies ist eine Frohbotschaft insbesondere für alle Benachteiligten und An-Rand-Gedrängten, aber auch für jene, die sich für eine gerechtere Welt einsetzen und oft auf verlorenem Posten kämpfen."
Am Beginn des Gottesdienstes erinnerte Bischof Chalupka, der der Feier vorstand, dass im KZ Mauthausen die Religionsausübung mit dem Tod betraft wurde. "Kein laut gesprochenes Gebet, kein Segens- oder Kreuzzeichen, kein Lied, kein Gottesdienst waren hier möglich. Religion durfte hier als Ausdruck des Menschen keinen Platz haben." Mauthausen habe in der Weise des absoluten Verbots religiöser Handlungen sogar unter allen NS-Konzentrationslagern eine besonders grausame Sonderrolle eingenommen, hielt der evangelische Bischof eingangs fest.
In Mauthausen "trifft Schmerz auf Hoffnung. Hier verbindet sich der Kummer mit dem Lebenswillen", sagte Erzpriester Nikolitsis. Bleibend Aufgabe der Kirche sei es, die Kraft der Wahrheit und der Liebe zu verkündigen, um die Opfer mit Respekt zu ehren und Versöhnung zu ermöglichen.
Der ökumenische Wortgottesdienst, den auch der Linzer Altbischof Maximilian Aicher mitfeierte, wurde heuer von Jugendlichen mitgestaltet, die auch die Fürbitten sprachen.
Die Liturgie endete mit einem Lied, dessen Text auch die Inschrift der Friedensglocke der Pfarrkirche Mauthausen bildet, die anlässlich ihrer Weihe erstmals am Appellplatz der Gedenkstätte angeschlagen wurde und wie folgt lautet: "Bemüht euch zu wahren die Einheit des Geistes durch das Band des Friedens!" Die Vertonung stammt von Alfred Hochedlinger, der für die musikalische Gestaltung der Feier durch den Chor der Pfarre Mauthausen verantwortlich war.
Erstmals sei Beginn der Pandemie fand die Befreiungsfeier wieder mit zahlreichen Abordnungen aus vielen Ländern und Organisationen in der KZ-Gedenkstätte Mauthausen statt. "Politischer Widerstand" war der heurige Titel der weltweit größten KZ-Befreiungsfeier. In Mauthausen und seinen Nebenlagern waren rund 200.000 Menschen interniert, die Hälfte von ihnen wurde ermordet oder starb aufgrund der grausamen Haftbedingungen.
Zu der Feier kommen traditionell Abordnungen aus aller Welt, denn die in Mauthausen Inhaftierten stammten aus mehr als 70 Nationen. Die Botschafter von Russland und Belarus wurden nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine von den Veranstaltern gebeten, nicht zu kommen.
Hilfsorganisationen, Überlebende und deren Angehörige aus diesen Ländern waren aber eingeladen. Traditionell sind auch Vertreter der Kirchen und Religionsgemeinschaften sowie des offiziellen Österreichs dabei.
Wort zum Sonntag
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