Wort zum Sonntag
„Aufrüstung“ ist das dominierende politische Wort in Europa, weil sich der Kontinent nicht auf die USA verlassen kann. Wäre so etwas vor zehn Jahren denkbar gewesen? „Es hat mich ein Stück weit überrascht, wie sehr die Bedrohung für das liberal-demokratische System gewachsen ist“, sagt Ferdinand Kaineder. „Hier ist es wichtig, dass wir Prozesse zu mehr Resilienz (Widerstandsfähigkeit, Anm.) entwickeln – und ein Stück weit auch Wehrhaftigkeit und Verteidigung unserer Art leben.“ Christ:innen dürften gleichzeitig nicht aus den Augen verlieren, dass die grundsätzliche jesuanische Lebenshaltung die Gewaltfreiheit ist. Daher sei es wichtig, die Wege zu gewaltfreien Lösungen offenzuhalten.
Dass viele Menschen angesichts der Weltlage keine Nachrichten mehr schauen wollen, findet Kaineder zwar nachvollziehbar. „Aber gerade jetzt braucht es das Hinschauen auf die ungeschminkten Tatsachen. Es ist die besondere Aufgabe der Kirche und der demokratisch gesinnten Menschen, Hintergründe wahrzunehmen. Das mag mitunter frustrierend sein. Aber als Christ:innen können wir die Begegnung mit der Welt aus einer tiefen Hoffnung heraus leben“, ist der KA-Präsident überzeugt. „Hoffnung heißt nicht, dass alles gut wird, sondern dass wir einen Beitrag leisten können auf dem Weg zu mehr Mitgefühl und Liebe sowie mehr Demokratie.“
In den letzten zehn Jahren hat sich die Haltung vieler zu Asyl und Migration gewandelt. Politische Verschiebungen in Richtung Populismus werden als Folge einer Überforderung gedeutet. Kaineder dagegen stellt zunächst fest, dass „es der Welt der sozialen Medien, der Algorithmen gelungen ist, in die Seelen der Menschen einzudringen. Das hat zu mehr Gereiztheit und Offenheit für schräge Simplifizierungen geführt.“ Zwar sieht auch er die Herausforderung, zum Beispiel in Schulklassen, wo die meisten Kinder nicht Deutsch können. Doch das „Tor völlig zu schließen“, könne nicht die Lösung sein. Kaineder spricht sich für eine bessere Verteilung der Integrationslasten unter den Bundesländern aus.
Fragt man nach seinen Erwartungen in die neue Bundesregierung, schlägt Kaineder nicht in die allgemeine Kerbe: „Ich möchte der Haltung widersprechen, dass jetzt alles ganz schnell gehen muss. Nicht schnell muss es werden, sondern gut.“ Natürlich habe die Regierung große Aufgaben vor sich, zum Beispiel die Budgetsanierung. Die Koalition sei breit aufgestellt, auch die oppositionellen Grünen hätten Mitarbeit zugesagt. „Gemeinsam kann hier Gutes gelingen“, ist der KA-Präsident überzeugt.
Kritisch sieht er die Tatsache, dass beim Klimaschutz manches rückgängig gemacht wird. „Zum Beispiel ist bei der Mobilität der Blickwinkel verengt. Über die Probleme der Autohersteller wird gesprochen, nicht über die erfreuliche Lage von Betrieben, die den öffentlichen Verkehr ausstatten.“ Eine positive Entwicklung sei, dass beim Thema Bodenverbrauch ein wichtiger Pflock eingeschlagen worden sei.
Christliche Ansätze in Gesellschaft und Politik werden laut Ferdinand Kaineder in Zukunft mehr in Kooperation mit anderen Organisationen gelingen. „Das Christliche kann nicht isoliert dastehen, sondern wird wie ein Sauerteig wirksam und auch spürbar sein“, ist er überzeugt. Jenen, die sagen, die Kirche solle keine weitere Nichtregierungsorganisation sein, sondern sich auf das „Heil der Seelen“ konzentrieren, antwortet der KA-Präsident: „Es hat wenig Sinn, sich auf das Wohlergehen eines Fisches zu konzentrieren, das ihn umgebende Wasser aber außer Acht zu lassen. Auch Jesus hat Strukturen kritisiert, die Menschen unterdrücken.“
Insgesamt wirbt Kaineder für ein „einfaches, aber hellwaches und gemeinsames Leben“. Es könne nicht unendliches Wachstum geben, man müsse auch ergründen, „wie Reduktion geht“. Das treibe ihn gerade in der Fastenzeit um. „Zuversicht erfahre ich, wenn ich sehe, wie junge Menschen leben, wie Menschen in Freundschaft ihr Leben gestalten und sich stützen. Und ich bin ein gläubiger Mensch, meine Hoffnung liegt in der Offenheit dem tiefen Geheimnis Gottes gegenüber begründet.“
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