Wort zum Sonntag
Sulaymaniyah. Das klingt nach einem Ort aus den Tausendundeine-Nacht-Erzählungen. Tatsächlich ist es eine Stadt im Nordosten des Irak, in der Autonomen Region Kurdistan gelegen. Christen zählen hier zu den Minderheiten. In Sulaymaniyah leben hauptsächlich Muslime, vor allem Kurden. Doch inmitten der Metropole mit mehr als 1,6 Millionen Einwohnern steht das katholische Kloster der Jungfrau Maria – Deir Maryam al-Adhra. Neben dem Gebet wird der Versöhnungsarbeit, der Bildung und dem christlich-islamischen Dialog viel Raum gegeben. Leute unterschiedlicher Religionen und Sprachen kommen hier zusammen, um sich untereinander auszutauschen. So ist das Kloster eine Stätte der Begegnung.
Geleitet wird Deir Maryam al-Adhra von Pater Jens Petzold. Wie der gebürtige Berliner als Pater in den Irak kam, ist eine spannende Geschichte. Er erzählt: Religion spielt in seiner Familie keine Rolle. Die atheistischen Eltern ziehen mit ihrem kleinen Sohn von Berlin in die Schweiz. Es folgen Schule, kaufmännische Ausbildung, Arbeit als Beamter bei der Post. Als die Eltern sterben, wächst bei ihm das Interesse an fernöstlichen Religionen. Der Wunsch, nach Japan zu reisen und direkt in die Welt speziell des Zen-Buddhismus einzutauchen und eine Zeit lang in einem Kloster zu verbringen, werden immer größer. Also kündigt er mit 30 Jahren seinen Job und beginnt eine spirituelle Sinnsuche.
Doch einfach ins Flugzeug zu steigen ist nicht seine Sache. Jens Petzold macht sich über Land auf den Weg. Als „langsam Reisender“ landet er ein Jahr später im syrischen Damaskus. Dort verbringt er zunächst sieben Monate. Um sich besser verständigen zu können, absolviert er einen Arabischkurs. Durch Zufall führt es ihn ins syrisch-katholische Wüstenkloster Dair Mar Musa al-Habaschi, wo er den italienischen Jesuitenpater Paolo Dall‘Oglio kennenlernt, der in den 80er-Jahren das verfallene, im 6. Jahrhundert gegründete altsyrische Kloster neu belebte. Im Mittelpunkt stehen das Gebet, Arbeit, Gastfreundschaft und ein reger christlich-islamischer Dialog.
Immer wieder führt es Jens Petzold danach an diesen Ort. Und immer wieder lädt ihn der Jesuit ein, doch länger zu bleiben. „Ich merkte in den Diskussionen, dass sich diese von Pater Paolo gegründete ökumenische Gemeinschaft, die sich al-Khalil nennt, stark mit dem interreligiösen Dialog auseinandersetzt und spirituelle Erfahrungen anderer Religionen sehr ernst nimmt. Das hat mich ungemein fasziniert. Also habe ich angefangen, über das Angebot nachzudenken“, erzählt Pater Jens Petzold. Und er blieb – zwar nicht wie geplant in einem buddhistischen, sondern in einem katholischen Kloster. In der Osternacht 1996 lässt sich Jens Petzold taufen. Schließlich tritt er der Gemeinschaft al-Khalil bei.
Pater Jens‘ Aufenthalt in Syrien ist allerdings nicht von Dauer. Auf die Bitte des damaligen Bischofs des chaldäisch-katholischen Erzbistums Kirkuk-Sulaymaniyah, Louis Raphael Sako (er ist heute als Patriarch von Babylon das Oberhaupt der chaldäisch-katholischen Kirche), geht er zu Weihnachten 2011 in den Irak, um dem leerstehenden Kloster der Jungfrau Maria in Sulaymaniyah wieder Leben einzuhauchen – ganz im Geiste der Gemeinschaft al-Khalil.
Doch der Aufbau einer Begegnungsstätte wie im syrischen Kloster Mar Musa, die Pläne, den interreligiösen Dialog zu fördern und Bildungs- und Versöhnungsaktivitäten umzusetzen, werden jäh unterbrochen. Am 8. August 2014 fällt die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) in den Irak ein. In Folge kommt es zu Vertreibungen und zur Flucht zahlreicher Menschen; darunter auch vieler Christen aus der Ninive-Ebene. Pater Jens nimmt daraufhin spontan 250 traumatisierte Flüchtlinge ins Kloster auf. Und hilft.
Mittlerweile sind viele der Flüchtlinge nach der Zerschlagung der Herrschaft des Islamischen Staates wieder in ihre Heimat zurückgekehrt. „Heute leben noch sechs Familien in Sulaymaniyah in der Nähe unseres Klosters, für die wir noch Verantwortung haben. Das sind Vertriebene aus dem Irak und Christen aus Syrien“, erzählt Pater Jens. Nach wie vor ist man dabei, die zerstörten Dörfer in der Ninive-Ebene wieder aufzubauen. Unterstützung dafür kommt auch aus Österreich, u. a. vom christlichen Hilfswerks ICO – Initiative Christlicher Orient. Laut Pater Jens muss sich die zerrüttete Region generell erholen – nicht nur wegen dem Einfall des IS, sondern auch aus wirtschaftlichen Gründen. Billige Importe aus der Türkei und dem Iran in den Bereichen Landwirtschaft und Industrie erschweren einen Aufschwung, erklärt er.
Seit drei Jahren ist es wieder möglich, an der Arbeit anzuknüpfen, für die Pater Jens ursprünglich nach Sulaymaniyah gekommen ist. Nach allem, was geschah, braucht es dringend Versöhnungsarbeit, um Spannungen und Vorurteile zwischen den verschiedenen Religionen abzubauen. Viele Einwohner der Stadt sprechen kurdisch, Christen und muslimische Araber dagegen arabisch. Um die Kommunikation und den Dialog zu fördern, helfen auch Sprachkurse. Das Kloster bietet sie auf Kurdisch, Arabisch und Englisch an. Dazu finden sich im Programm verschiedene Ausbildungsmöglichkeiten für Frauen und Aktivitäten für Kinder wie Malworkshops während der Sommermonate. Ein Journalismuslehrgang mit offiziellem Zertifikat, der 2019 schon erfolgreich durchgeführt wurde, soll heuer wieder stattfinden – in Zusammenarbeit mit Journalisten aus dem Irak und aus Europa.
Was die Lage der Christen betrifft, so sind sie in Sulaymaniyah sehr gut integriert, wie Pater Jens berichtet. Generell gibt es im Irak Probleme, welche die gesamte Bevölkerung betreffen. Laut Schätzungen sind 70 Prozent der rund 40 Millionen Einwohner des Landes unter 40 Jahre alt. „Die Menschen brauchen Arbeit, sie brauchen eine Vision, sie brauchen Vertrauen in die Regierung – all das fehlt. Man muss den Leuten Zukunftsperspektiven geben“, äußert sich der Pater kritisch. Das Volk protestierte vor allem in der irakischen Hauptstadt Bagdad seit Oktober 2019 bis zur Coronaviruskrise (von der auch der Irak betroffen ist) gegen die politische Führung, gegen Korruption und Misswirtschaft.
Jesuitenpater Paolo Dall‘Oglio wurde im Zuge des Bürgerkrieges in Syrien am 29. Juli 2013 von Mitgliedern des IS entführt. Und ist bis heute verschollen. „Leider wissen wir über seinen Verbleib gar nichts“, sagt Pater Jens. „Man spricht von seiner Exekution durch den IS, aber Beweise gibt es bis jetzt nicht. Das ist eine traurige Situation und wir beten für ihn“, sagt Pater Jens.
Sulaymaniyah – an diesen Ort hat es Jens Petzold auf seiner spirituellen Sinnsuche also geführt. Und hier geht er seiner Berufung aktiv nach. Wichtig dabei sei laut dem Pater, „dass man seiner inneren Stimme folgt, seine Berufung sucht, sie auch kritisch betrachtet, ihr mutig nachgeht und sie lebt.“ «
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