Wort zum Sonntag
Welche Bedeutung hat das Fasten im Laufe des Kirchenjahrs in den orthodoxen Kirchen?
Pfarrer Dr. Ioan Moga: Die Große Fastenzeit, die sieben Wochen vor Ostern, ist das wichtigste, aber nicht das einzige Fasten im orthodoxen Kirchenjahr. Orthodoxe Christen fasten auch sechs Wochen vor Weihnachten, zwei Wochen vor Maria Entschlafung (15. August) und mehrere Tage oder Wochen vor dem Fest der Apostel Petrus und Paulus am 29. Juni, wobei die Länge vom Datum des Pfingstfestes abhängt. Hinzu kommen alle Mittwoche und Freitage im ganzen Jahr – mit einigen Ausnahmen. Und dann noch Gedenktage, die mit Fasten begangen werden, wie zum Beispiel das Fest der Enthauptung Johannes’ des Täufers. Wenn man das zusammenrechnet, sind es so gut wie die Hälfte der Tage in einem Kirchenjahr!
Wann beginnt die Fastenzeit als Vorbereitung für Ostern?
Moga: Die Große Fastenzeit beginnt immer an einem Montag, dieses Jahr am 19. Februar 2018 – das sind sieben Wochen vor Ostern, weil das orthodoxe Osterfest eine Woche später fällt. Der Fastenzeit geht jedoch eine Woche der Vorbereitung voraus: die Woche der Milchspeise, in der man bereits auf Fleischprodukte verzichtet. Die Zeit des Triodions, die die gesamte liturgisch-geistliche Vorbereitung auf Ostern hin ausmacht, beginnt aber noch früher, nämlich zehn Wochen vor Ostern. Daraus sieht man, dass diesem liturgisch-spirituellen Weg zur Auferstehung hin in der orthodoxen Kirche eine entscheidende Rolle zugesprochen wird.
Welche Vorschriften und Gebote gibt es für die Fastenzeit im Blick auf das Essen?
Moga: Das Fasten in der orthodoxen Kirche bedeutet im Allgemeinen eine vegane Ernährung. Es gibt aber auch Gläubige, die an bestimmten Fastentagen auch auf Öl oder Gekochtes verzichten und nur vegane Rohkost zu sich nehmen. Unser Metropolit empfiehlt uns immer wieder, in der Fastenzeit am Mittwoch und am Freitag bis zum Abend oder wenigstens bis drei Uhr nachmittags – der Todesstunde des Erlösers am Kreuz – nichts zu sich zu nehmen.
Gibt es Vorschriften für das geistliche Leben?
Moga: Natürlich ist Fasten ohne eine Intensivierung des Gebetslebens ein Widerspruch in sich. Das Fasten zielt darauf ab, dass man sich auch des geistigen Hungers und Durstes nach Gott bewusst wird. Deshalb sollte das Nahrungsfasten immer von einem Prozess innerer Erneuerung bzw. vom Gebet begleitet werden. Vorschriften gibt es dabei nicht. Die Fastenzeit ist eine Zeit der Umkehr, die Umkehr kann nur in Freiheit geschehen. Aus persönlicher Erfahrung – aber ebenso aus soziologischen Umfragen in den mehrheitlich orthodox geprägten Ländern – weiß ich jedoch, dass viele auch Nicht-Kirchengänger in der Fastenzeit fasten.
Bezüglich des persönlichen Gebetes berichten viele Gläubige davon, dass sie sich selbst – oder in Absprache mit dem Beichtvater – ein stärkeres Gebetsleben vornehmen. Viele lesen zum Beispiel in nur einer Woche den ganzen Psalter durch, das heißt alle 150 Psalmen. Man kann sich kaum vorstellen, dass heutzutage viele Menschen – nicht nur ältere – in ihrem Zimmerlein stundenlang im Gebet verharren. Das gibt’s aber! Die Kraft, die sie daraus schöpfen, motiviert sie. Es gibt also viele Formen der Privatfrömmigkeit, die alle eine Intensivierung des Gebetslebens in dieser Zeit bedeuten.
Wie zeigt sich die Fastenzeit in der Liturgie?
Moga: Die orthodoxe Kirche kennt eine Reihe von Gottesdiensten, die nur in dieser Zeit gefeiert werden. Der erste Gottesdienst der Fastenzeit ist die Vesper der gegenseitigen Vergebungsbitte, Sonntag Abend. Im Rahmen dieser Vesper wird die Kirche mit dunklen Paramenten bekleidet und Priester und Gläubige bitten gegenseitig um Vergebung. Der erste Akt, der Fasten überhaupt ermöglicht, ist die Befreiung des Herzens von Hass, Zorn, Bosheit. Es folgt in der ersten Woche der Fastenzeit ein täglicher Bußkanon, der dem byzantinischen Dichter Andreas von Kreta zugeschrieben wird. Auch wir in Wien, in meiner Antonius-Pfarre, beten diesen Bußkanon jeden Abend in der ersten Woche. Der bekannteste Gottesdienst der Fastenzeit ist die Liturgie der vorgeweihten Gaben, ein Abendlob mit Kommunionritus. Diese Liturgie geht auf Papst Gregor den Großen zurück und wird mittwochs und freitags nur in der Großen Fastenzeit gefeiert. Der liturgische Gipfelpunkt dieser Periode ist natürlich die Karwoche, mit täglichen langen Gottesdiensten. Dorthin strömen viele Menschen, auch solche, die sonst nie in die Kirche kommen. Und nicht zu vergessen: die Beichte. Die Beichte ist ja auch ein Gottesdienst, wo zwei Menschen sich zu Gott wenden, ein Sakrament – das vergessen viele. In der Tat, für die Priester ist die Große Fastenzeit die anstrengendste Zeit im Jahr: weil sehr viele Gläubige zur Beichte kommen.
Wer hält die Große Fastenzeit – Mönche, Pfarrer oder auch die Gläubigen?
Moga: Das Fasten ist zwar kirchlich vorgeschrieben, bleibt jedoch eine Entscheidung des Einzelnen. Natürlich kann ich als Priester nicht von den Gläubigen erwarten zu fasten, wenn ich das selber nicht voll und ganz tue. Das wäre Heuchelei. Mich beeindruckt aber immer wieder, wie ernst viele unserer Gläubigen das Fasten nehmen, obwohl sie auf der Baustelle arbeiten oder sonstige Arbeiten verrichten, die körperliche Leistung fordern. Es gibt aber auch viele Menschen, die nicht alle sieben Wochen lang fasten können. Man sollte das also nicht idealisieren. Dafür ist unter anderem auch Seelsorge da, damit eine kirchliche Vorschrift nicht bedrückend wirkt. Nicht die Leistung eines kompletten Fastens ist intendiert, sondern der ausgelöste innere Prozess. Es ist also sehr unterschiedlich, von Mensch zu Mensch.
Wie gehen Sie selbst mit dem Fasten um, ist es oft hart?
Moga: Mir fällt persönlich das vegane Fasten nicht so schwer, vielleicht habe ich mich einfach daran gewöhnt. Hart ist einzusehen, dass viele andere Sachen, die man sich vornimmt, schwerer durchzuhalten sind als ein Ernährungsprogramm. Die Fastenzeit ist oft auch eine Zeit der geistlichen Prüfung, man konfrontiert sich mit der eigenen Schwäche, man erlebt auch Tiefpunkte. Aber in allem schimmert immer wieder die Hoffnung auf einen gnädigen, göttlichen Beistand. Deshalb ist die Fastenzeit immer eine selige, glückliche Trauer, sie hat eine gewisse Festlichkeit in sich.
Halbzeit - Fest
Dalita Radler hat als Dreijährige mit ihren Eltern den Irak verlassen. Sie gehört der assyrischen Kirche des Ostens an und erzählt, welche Bedeutung für sie Fasten hat.
Fasten heißt 50 Tage durchgehend bis Ostern auf Fleisch und Milchspeisen zu verzichten, erklärt sie. In ihrer ehemaligen Heimat, dem Irak, wird das Fasten streng gehalten. Auch für ihre Eltern, die seit mehr als zwei Jahrzehnten in Oberösterreich leben, ist die Einhaltung der Fastengebote selbstverständlich. Dalita Radler selbst ist Mutter einer kleinen Tochter und fastet in abgemildeter Form: keine Süßigkeiten, kein Alkohol und kein Fleisch. Bei Einladungen isst sie aber, was auf den Tisch kommt.
Fasten und Lebenskultur. Auf die strengen Fastenregeln ihrer Kirche angesprochen weist Radler darauf hin, dass es eine Reihe von typisch orientalischen Speisen gibt, bei denen das Fleisch nicht wirklich abgeht. Das macht das Fasten gut lebbar. Ein kleines Fest wird genau in der Mitte der Fastenzeit gefeiert, um für die weitere Zeit anzuspornen. In eine Art Brioche-Kuchen, dem Palu, wird eine Nuss eingebacken. Mit Namenskärtchen, die auf den Kuchen gesteckt werden, bekommt jeder ein Stück zugeteilt. In wessen Stück sich die Nuss befindet, der ist das ganze kommende Jahr Glücksbringer für die Familie. Wird die Nuss zerschnitten, gibt es Streit.
Wort zum Sonntag
Birgit Kubik, 268. Turmeremitin, berichtet von ihren Erfahrungen in der Türmerstube im Mariendom Linz. >>
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