Wort zum Sonntag
Mehrmals in meinem Leben habe ich als Eremit 40 Tage lang in der Wüste gelebt. Für Charles de Foucauld, auf den sich meine Ordensgemeinschaft der „Kleinen Brüder vom Evangelium“ zurückführt, war die Wüste ein besonderer spiritueller Ort. Inmitten einer dürstenden Landschaft wollte er den Gottesbrunnen finden: „Man muss die Wüste durchqueren und in ihr verweilen, um die Gnade Gottes zu empfangen … Schweigen bedeutet das Gegenteil von Vergessen und Kälte; in der stillen Betrachtung entzündet sich das Feuer. Im Schweigen liebt man am glühendsten; Lärm und Worte ersticken oft das innere Feuer.“
Seit den Anfängen des Christentums haben Einsiedlerinnen und Einsiedler eine zurückgezogene Lebensweise gewählt, um in der Stille und Abgeschiedenheit Gott zu suchen. Nach einem Wort von Meister Eckhart ist nichts im Universum Gott ähnlicher als die Stille. Ohne das Schweigen laufen wir Gefahr, uns im Äußeren und Äußerlichen zu verlieren. Unsere Welt ist laut und geschwätzig. Wir leben mit einem Hintergrundrauschen, das nie aufhört: der Lärm der Autos und Züge, ein Geräuschpegel, der unaufhörlich dröhnt. Viele brauchen die Dauerberieselung durch Fernseher und Smartphone. Wenn es einmal still wird, dann kommt uns das unheimlich vor.
Clive S. Lewis erzählt in seiner „Dienstanweisung für einen Unterteufel“, wie der Oberteufel seinem Neffen das Teufelshandwerk lehrt: Wir müssen die Menschen dazu bringen, dass sie möglichst viel Krach machen. Wir müssen also dafür sorgen, dass es immer lauter wird, bis das ganze Weltall ein einziger Höllenlärm ist. – Und dann stellt der Oberteufel zufrieden fest: Im Blick auf dieses Ziel sind wir, was die Erde anbelangt, in den letzten Jahren ein gutes Stück vorangekommen.
Warum ist Lärm für den Teufel von Vorteil? Wenn es um mich herum laut ist, kann ich die Stimmen in mir kaum noch wahrnehmen. Damit überhöre ich auch die Stimme Gottes in meinem Innern: im Gewissen, im spontanen Aufsteigen von Dankbarkeit, in der Sehnsucht nach Liebe. Wir vermeiden das Hören auf die inneren Stimmen, weil dies schmerzlich sein kann. Denn in uns wohnen auch Angst, Erinnerungen an Verletzungen, das quälende Gefühl von Schuld oder Verlassenheit. Wir stoßen auf unsere Endlichkeit und zugleich auf den Hunger nach dem Unendlichen.
Wer aber nicht mehr auf sich selbst hört, der hört bald nur noch auf andere oder anderes. Menschen sind umso leichter manipulierbar, je weniger sie einen Zugang zu dem haben, was sie selber empfinden und wollen.
Dazu kommt, dass Lärm betäubt. Wenn das Gehör abstumpft, sind wir taub für die Zwischentöne und alles Zarte und Leise. Beziehungen aber wachsen in der Stille. Nur wer schweigen kann, vermag auch gut zuzuhören. Wer auf das Leben lauschen will, der muss das Gras wachsen hören.
Ich erinnere mich an die Filme „Die große Stille“ (Philip Gröning) und „Jenseits der Stille“ (Caroline Link), in denen die Stille durch Winterbilder illustriert wird. Wenn Schnee fällt, wird alles leiser. Der Schneeteppich dämpft die Schritte und lauten Geräusche. Das lautlose Fallen von Schneeflocken wird zu einem Bild für Stille. Diese Stille hat etwas Beruhigendes, etwas Heilendes.
In der Bibel gilt die Wüste auch als Ort, wo der Mensch wieder hörsamer, dem Wort Gottes gegenüber gehorsamer wird. Beim Propheten Hosea heißt es: „Ich habe dich in die Wüste geführt, um dir zu Herzen zu sprechen“ (Hos 2,16). Daher braucht es auch inmitten unserer Städte Orte der Stille, die wir aufsuchen können. Das kann ein Spaziergang sein, bei dem ich auf Kopfhörer und Musik verzichte. Oder ich besuche eine Kirche. Bei einem ruhigen Spaziergang etwa bin ich nicht mehr fremdbestimmt, sondern kann meinem eigenen Rhythmus folgen. Ich achte auf meinen Atem, meine Gefühle, meine Erinnerungen.
Die Wüste bringt mich zum Schweigen und schafft Abstand von dem, was mich sonst bedrängt. Mein Herz beruhigt sich wie ein Gewässer, das nach einem Sturm wieder zur Ruhe kommt. Das Aufgewühlte kann absinken und ich sehe wieder klarer. Schweigen ist mehr als nur Abschalten. Im Schweigen lasse ich mich selbst los. In dieser Stille höre ich mein eigenes Aufatmen.
Wenn ich in die Stille gefunden habe, dann verstummen die Stimmen, die etwas von mir wollen und mich immer weiter jagen: die Stimme des Ehrgeizes oder der Gier. In der Stille erlebe ich, dass ich einfach da sein darf, ohne etwas leisten oder machen zu müssen. Niemand will etwas von mir. Diese Stille, die mich frei macht, wird für mich zum Raum, in dem ich Gottes Gegenwart erahnen kann. Denn auch Gott will nichts von mir, sondern schenkt mir Weite zum Atmen und Leben. Jetzt braucht es keine Worte mehr. Ich bete mit meinem Dasein. Wer ins Schweigen geht, kann mit der eigenen Tiefe in Berührung kommen – und dort von Gott berührt werden. Denn „Gott ist der leiseste von allen“ (Rilke). «
Spirituelle Impulse aus der Wüste
Teil 5 von 7
was wirklich nährt
beim reden zerredet
durch schreien verschrien
im sagen versagt
beim plappern verplappert
durch rufen verrufen
im krach verkracht
äußerungen veräußern
brüllen brüllt nieder
dröhnen dröhnt zu
stille
aber
kann stillen
Andreas Knapp
Aus: Andreas Knapp,
Ausblick ins Unendliche,
Echter-Verlag, Würzburg, S. 54
Wort zum Sonntag
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