Wort zum Sonntag
Nochmals lohnt ein Blick in die Bibel. Neben der literarischen Gestalt des Ijob, die wir aus den ersten beiden Serienteilen kennen, ist Jesus von Nazareth der Orientierungsmaßstab im Umgang mit dem Leiden. Eines Tages begegnet Jesus einem Blinden, seine Jünger fragen ihn, ob dieser durch seine eigenen oder durch die Sünden seiner Eltern mit Blindheit bestraft worden sei (Joh 9). Doch Jesus weist diese Spekulationen als fruchtlos zurück. Vielmehr soll an diesem Leidenden die Liebe Gottes offenbar werden, indem er ihn heilt. So also will Gott seine Schöpfung: Sie soll so gut als möglich heil werden und heil sein. Zuerst und zuletzt ist Jesus einer, der heilt. Für Papst Franziskus ist deshalb das Heilen auch eine therapeutische Pflicht der Kirche. In seinem ersten Interview sagte er: „Ich sehe ganz klar, dass das, was die Kirche heute braucht, die Fähigkeit ist, Wunden zu heilen und die Herzen der Menschen zu wärmen – Nähe und Verbundenheit. Ich sehe die Kirche wie ein Feldlazarett nach einer Schlacht. Man muss einen Schwerverwundeten nicht nach Cholesterin oder nach hohem Zucker fragen. Man muss die Wunden heilen. Dann können wir von allem anderen sprechen.“
Die Fähigkeit, Wunden zu heilen, ist ein Grundauftrag des Christ- und Christin-Sein. Die Glaubwürdigkeit der Kirche steht und fällt mit der Solidarität mit den Leidenden, wer immer sie sind: Angehörige, Freunde, Fremde, Feinde ... Sie haben eine „Autorität“, die der Autorität der Wahrheit und Gerechtigkeit in nichts nachsteht. Der Theologe Johann Baptist Metz sprach deshalb treffend von der „Autorität der Leidenden“.
Freilich bleibt die Tatsache, dass alles Heilen in einem letzten Schatten des Unheils steht, im Schatten des Todes. Im Unterschied zu Ijob, dessen Leidenstage in zahllose Tage des Glücks verwandelt wurden, trifft Jesus dieser Schatten mit tödlicher Gewalt. Sein Leben hat kein Happy End – es endet mit dem Schrei, warum ihn Gott verlassen habe. Jesus erleidet den tiefsten Schmerz jeder menschlichen Kreatur, sein Leben definitiv zu verlieren. Wer ein Gespür für den unersetzbaren Verlust eines Lebens hat, wer um die ungesühnten Verbrechen der Geschichte weiß und wer sich auch der „Grausamkeit“ der Evolution bewusst ist, die auf dem Tod der Lebewesen das Leben der Nachkommen baut, fühlt eine tiefe Ohnmacht und Verzweiflung angesichts der Abgründigkeit des Leidens in der Welt. Und dennoch ist diese Welt nicht ohne Hoffnung. Der Kern der christlichen Botschaft ist nicht weniger als die kühne Hoffnung, dass der Tod nicht das letzte Wort hat. Weil Jesus nicht im Nichts des Todes versank, sondern ins ewige Leben auferweckt wurde, gibt es ein Versprechen, eine Hoffnung, die seither die Welt durchdringt. Oder wie es Paulus sagt: „Tod, wo ist dein Sieg? Tod, wo ist dein Stachel?“ (1 Kor 15,55)
Worauf es also heute im Christ- und Christin-Sein ankommt, ist dies: von dieser Hoffnung Zeugnis und Rechenschaft zu geben, jeden Tag, wo immer das Widerfahrnis des Leidens das Leben begrenzt. Diese Hoffnung ist nicht nur eine Botschaft, sie ist ein Tun. Sie ist im Grunde ein Sakrament: Denn wo Menschen heilen und retten oder auch nur sprachlos und schweigend mit Leidenden verharren, nehmen sie schon hier und heute ein Stück Auferstehung vorweg. Dort ist nach Papst Franziskus der Platz der Kirche heute: „Man muss ganz unten anfangen.“ Eine zweifelsohne steile Vision von Kirche! Dort unten, an der Seite der Leidenden, entscheidet sich die Zukunft des Christentums, und nicht (mehr) an der Frage: Wo ist die Macht und wo sichern wir unsere Pfründe?
Wort zum Sonntag
Birgit Kubik, 268. Turmeremitin, berichtet von ihren Erfahrungen in der Türmerstube im Mariendom Linz. >>
Jetzt die KIRCHENZEITUNG 4 Wochen lang kostenlos kennen lernen. Abo endet automatisch. >>