Mein Vater ist noch keine 57 Jahre alt gewesen, als bei einer Routineoperation ein Malheur passiert ist, ein Narkosevorfall. Schwer beeinträchtigt hat er sein Schicksal in die Hand genommen, hat nie gefragt „Warum gerade ich?“, hat dieses sein Leben angenommen, das über Nacht buchstäblich „auf den Kopf gestellt“ worden ist.
Nach seinem Ableben haben wir in seiner Geldtasche den Satz gefunden: „Man muss den langen Atem der Hoffnung haben.“ Wir brauchen in diesen schwierigen Zeiten Menschen mit dem langen Atem der Hoffnung und der Zuversicht. Wir brauchen pfingstliche Menschen.
Pfingsten ist das Fest des Geistes. Im Schöpfungsgedicht lesen wir auf den ersten Seiten der hebräischen Bibel: „Da formte Gott den Menschen, Staub vom Erdboden, und blies in seine Nase den Lebensatem. So wurde der Mensch zu einem lebendigen Wesen“ (Genesis 2, 7). „Inspiravit“ steht in der lateinischen Bibelübersetzung, und „spiro“ bedeutet „ich atme“.
Ein spiritueller Mensch wäre demnach wohl einer, der sich von Gott formen und beatmen lässt, ein Mensch mit dem langen Atem der Hoffnung. Und wenn er eines Tages oder Nachts sein Erdenleben aushaucht, dann vertraut er darauf, seines „Heils Vollendung (zu) sehn und der Freuden Ewigkeit“ – „perenne gaudium“ steht im lateinischen Text dieser um das Jahr 1200 in Paris komponierten Pfingstsequenz – ewige, ungetrübte Freude.
Mütter und Väter erinnern sich an den Schrei des Neugeborenen. Es schnappt nach Luft und die Lunge entfaltet sich. Von nun an atmet es selbständig und der Kreislauf stellt sich auf das Leben außerhalb der Gebärmutter ein. Der Embryo wird von der Mutter abgenabelt. Es beginnt eine lebenslange Geschichte der Freiheit. „Ihr habt nicht einen Geist der Knechtschaft empfangen, sodass ihr immer noch Furcht haben müsstet“, schreibt der Apostel Paulus den Christinnen und Christen von Rom (Römer 8,15a). Das nehmen sich Eltern zu Herzen, wenn sie als Taufspruch den weisen Satz wählen: „Wenn die Kinder klein sind, gib ihnen Wurzeln, und wenn sie groß sind, gib ihnen Flügel.“
Wo immer jemand die Flügel hebt und sie nicht ängstlich an sich presst, wo immer also jemand der Kraft des göttlichen Geistes vertraut, da schafft sie ihre Wunder an uns, da verwandelt sie uns. Das gilt auch für die Kirche. Ein chinesisches Sprichwort sagt: „Wenn der Wind der Veränderung weht, bauen die einen Windmühlen und die anderen Mauern.“ Manche hätten gern eine kleine, aber feine Herde von 150%igen, mit einer Mauer rundherum als Schutz gegen die böse Welt.
Ich bin für Windräder mitten unter den Leuten. Gut platziert. Dort kommt der Geist aus allen Richtungen und wir erfahren, wie stark er weht und welche Kraft von ihm oder eben von ihr ausgeht. Ja von ihr, denn in der hebräischen Sprache ist der Geist weiblich, die „rùah“. Das ist ein wichtiges Korrektiv zum nach wie vor einseitig männlich verkündeten Vater-und-Sohn-Gott.
Nicht nur unsere Kirche ist im Wandel, sondern die ganze Ökumene – ins Deutsche übersetzt „die bewohnte Erde, das uns allen gemeinsame Welthaus“ – benötigt ein neues Pfingsten.
Auf dem Bahnhofvorplatz in Bad Ischl erinnert ein jüngst errichtetes Mahnmal daran. Wir verdanken es wie so viele andere wertvolle Projekte der Europäischen Kulturhauptstadtregion Salzkammergut 2024. Es stellt einen aus Aluminium gegossenen und polierten Kopf dar. Der Mund ist weit aufgerissen. Ein Mensch schnappt nach Luft. Auf Stirn und Nase ist eine bronzene Sauerstoffflasche mit der Aufschrift „ATEMLUFT“ aufgelegt.
Es ist die erste skulpturale Arbeit der österreichischen Künstlerin Xenia Hausner. „Atemluft“, so die Künstlerin, „steht stellvertretend für die ökologischen Probleme, die wir haben.“ Den Zynismus und mangelnden Realitätssinn vor unseren dahinschwindenden Ressourcen beobachtet sie mit Deutlichkeit und mit Schrecken.
Moralische Appelle werden uns nicht retten. Und niemand lässt sich gerne mit erhobenem Zeigefinger belehren. Papst Franziskus weist zurecht darauf hin, es brauche „innere Beweggründe, die das persönliche und gemeinschaftliche Handeln anspornen, motivieren, ermutigen und ihm Sinn verleihen“ (in: Evangelii gaudium, 261).
Pfingsten ist mehr als ein Jahr für Jahr wiederholtes Fest. Pfingsten ist ein Dauerauftrag.
Vorschlag für eine geistliche Übung mit einem vom Schweizer Mystiker Niklaus von Flüe überlieferten Gebet.
Mein Herr und mein Gott – einatmen;
nimm alles von mir, was mich hindert zu dir – ausatmen;
gib alles mir, was mich fördert zu dir – einatmen;
nimm mich mir - ausatmen;
und gib mich ganz zu eigen dir – einatmen.
mit Christian Öhler
Wenn es um Glaubensfragen geht, dann will Christian Öhler, katholischer Stadtpfarrer von Bad Ischl, ganz konkret sein. Von der Woche zum Weißen Sonntag bis Pfingsten schreibt er zu diesem Thema eine siebenteilige Serie in der Kirchenzeitung.
Was ihn besonders bewegt, hat Pfarrer Öhler im Video-Interview verraten. Dabei spielen neben Glaubensfragen auch Natur- und Kunsterfahrungen eine Rolle: Beides bietet das Salzkammergut, insbesondere 2024, da die Region Kulturhauptstadt Europas ist.
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Christian Öhler
Stadtpfarrer von Bad IschL, Regionaldechant für das Traunviertel, Pfarrprovisor St. Wolfgang und Pfandl
Christian Öhler ist auf dem Bindermichl in Linz aufgewachsen. Als Kind und Jugendlicher engagierte er sich in der Pfarre Linz-St. Michael und studierte später Theologie in Linz und Frankfurt. 1985 wurde er zum Priester geweiht. Er prägte in Linz die Seelsorge in der Kirche in der Tuchfabrik, 2010 wechselte er nach Bad Ischl und vernetzt dort unentwegt Land, Leute und Kirche, besonders im Rahmen der Kulturhauptstadt Europas Bad Ischl Salzkammergut.