Wort zum Sonntag
Alles beginnt mit der Prophetin Mirjam in Exodus 15,20–21. Nach der Rettung aus dem Schilfmeer stimmt Mose sein berühmtes Lied (Exodus 15,1–19) an. Die Prophetin Mirjam nimmt die Trommel in die Hand und zieht mit anderen Frauen musizierend und tanzend hinterher. Sie ist die erste Prophetin und gleichzeitig die erste Frau in der Bibel, die singt – oder antwortet, denn das hebräische Wort lässt durchaus Interpretationsspielraum in beide Richtungen zu: „Singt Jhwh (dem HERRN) ein Lied, denn er ist hoch und erhaben, Ross und Wägen warf er ins Meer.“ (Exodus 15,21). Wenn Mirjam vor dem Volk singt oder für das Volk antwortet, dann wird ihre Stimme gehört. Ihr wird Gewicht beigemessen, das zeigt sich besonders in der Benennung Mirjams als Prophetin und Schwester Aarons. Dabei geht es nicht zwingend um eine biologische Geschwisterlichkeit, sondern eher um eine metaphorische. Als Schwester spielt sie eine entscheidende Rolle, ist Mose und Aaron nahe und vertraut. Dass Mirjam gemeinsam mit den beiden Männern eine Führungsfunktion einnimmt, zeigt ein Blick in das Buch Micha, in dem es wörtlich heißt „und ich habe vor deinem Angesicht gesandt Mose, Aaron und Mirjam.“ (Micha 6,4)
Aber nicht nur Mirjam verschafft sich Gehör. Biblische Frauen kommen in Liedern immer wieder zu Wort. Meist benennen sie soziale Missstände. So ist Debora nach Mirjam die nächste Frau, die als Prophetin benannt wird und die ebenfalls ein Lied singt. Ihr kommt neben dem Amt der Prophetin das der Richterin zu (Richter 4,4), und es wird klar betont, dass das Volk zu ihr kommt, um sich Recht sprechen zu lassen (Richter 4,5). Debora hat also prophetische und rechtsprechende Autorität. Damit vereint sie zwei entscheidende Dimensionen. Ihr Lied ist allerdings in einem schwierigen Kontext situiert: Israel befindet sich im Kampf gegen Kanaan und droht, dem übermächtigen Gegner, der es bereits jahrelang unterdrückt, zu unterliegen. Dennoch gelingt, dank Gottes Hilfe, der Sieg über die Kanaaniter. Es handelt sich dabei um ein Motiv, das biblisch oft begegnet: Gott stellt sich auf die Seite des unterdrückten Volks, der Schwachen, der Marginalisierten, jener, die machtlos sind. Das Lied der Debora thematisiert über weite Teile die Freude über den Ausgang des Krieges. Am Ende des Liedes wendet Debora ihren Blick weg von den Befreiten auf die kanaanäischen Frauen hin, die nun zur Kriegsbeute werden. Indem sie deren Blick einnimmt, verschafft sie ihnen eine Stimme und kann frauenfeindliche Strukturen benennen. Neben Debora singt auch Judit von dem Gott, der Kriegen ein Ende setzt (Judit 16,2) und beklagt die zivilen Opfer des Krieges: Säuglinge, Kinder, Mädchen (Judit 16,4).
Maria, die Mutter Jesu, wird nicht mit Tanz und Musik in Verbindung gebracht. Das Magnifikat (Lukas 1,46–55) wird auch nicht explizit als Lied bezeichnet. Die Ähnlichkeiten mit den Liedern der alttestamentlichen Frauen sind jedoch nicht von der Hand zu weisen. Im Magnifikat tritt Maria für die Gleichheit der Menschheit ein. Arme oder Hungernde soll es nicht mehr geben (Lukas 1,53). Maria bringt einen Gedanken zum Ausdruck, der unserem sozialen System zugrunde liegt: Jene Menschen zu unterstützen, die Unterstützung brauchen, und soziale Ungleichheiten auszugleichen. Dies ist ein Gedanke, der einerseits in der Politik von manchen Seiten pervertiert oder ad absurdum geführt wird, andererseits auch für viele Menschen schwer zu ertragen scheint. Fest steht: Biblische Frauen schaffen in ihren Liedern Raum für jene Menschen, die kraft- und machtlos sind.
Wort zum Sonntag
Birgit Kubik, 268. Turmeremitin, berichtet von ihren Erfahrungen in der Türmerstube im Mariendom Linz. >>
Jetzt die KIRCHENZEITUNG 4 Wochen lang kostenlos kennen lernen. Abo endet automatisch. >>