Wort zum Sonntag
Das meint der Innsbrucker Philosoph Bruno Niederbacher SJ. Man könne sich ein Beispiel an Thomas von Aquin nehmen, der vor 800 Jahren geboren wurde.
Er habe drei bis vier Sekretären gleichzeitig diktiert, schreibt Reginald von Piperno über seinen Chef und Vertrauten, den Dominikaner-Gelehrten Thomas von Aquin. Wie dieses Mehrfachdiktat ausgesehen haben mag, ohne dass die beteiligten Männer ständig durcheinandergekommen sind, lässt sich schwer nachvollziehen. Dennoch wird es in der Forschung für realistisch gehalten – angesichts der unglaublich vielen Texte, die von Thomas von Aquin erhalten sind. Etwa 4 000 Seiten pro Jahr hat der Kirchenlehrer im Durchschnitt verfasst. Noch erstaunlicher als die pure Menge der aufgeschriebenen Gedanken ist die inhaltliche Tiefe. Wie genial muss ein Denker sein, dass sich viele Jahrhunderte später noch die Universitäten mit seinem Werk beschäftigen?! „In der zeitgenössischen analytischen Philosophie wird unglaublich viel auf Thomas Bezug genommen. Fast mehr als in der Theologie“, gibt der Philosoph, Thomas-Experte und Jesuit Bruno Niederbacher zu bedenken, der in Innsbruck lehrt. Doch auch die Theologie kommt nicht ohne Thomas aus. Was hat diesen Denker so einzigartig gemacht?
Thomas von Aquin war kein „einsamer Riese“ der Theologie. Seine besondere Leistung bestand zunächst darin, die Schriften der Philosophen, Theologen und Kirchenlehrer vor ihm zu bündeln und zusammenzufassen. Sein berühmtestes Werk, die „Summe der Theologie“ (Summa theologiae), schrieb er als umfassende Einführung in das theologische Denken, als Standardwerk für Anfänger der Theologie. „Die großen Denker vor ihm auf knappe Weise zusammenzubringen, war eine große Integrationsleistung von Thomas von Aquin. Theologie etwa mit der Philosophie des Heiden Aristoteles zu entwickeln, war neu und umstritten “, sagt Niederbacher. „Thomas war ein brillanter Wissenschaftler und Lehrer.“ Ein Amt als kirchlicher Würdenträger war für den Dominikanerpater Thomas von Aquin kein Thema. Er hatte sich mit Haut und Haar der Wissenschaft verschrieben.
Seit vielen Generationen, ja seit mehr als 700 Jahren, befassen sich Menschen mit dem Gedankengut des Thomas von Aquin. Es wurde rezipiert, kritisiert, zerpflückt und verehrt. Die Verehrung schoss oft über das gesunde Maß hinaus. „Immer wieder hat man behauptet, dass in der Summa theologiae die ganze Wahrheit steht. Das ist eine Festlegung gegen den Geist des Thomas von Aquin.“ Man wird dem Autor nicht gerecht, wenn man die „Summe der Theologie“ als letzte Wahrheit nimmt, betont Thomas-Experte Niederbacher: „Thomas von Aquin liefert Diskussionsbeiträge. Er setzt sich mit Argumenten und Gegenargumenten auseinander und will nicht nacherzählt, sondern als Denker ernstgenommen werden.“
Thomas hat aufgrund seiner Erfahrung in der mittelalterlichen Disputationskultur eine Methode des intellektuellen Unterscheidens gepflegt, von der wir uns heute noch viel abschauen können, meint Bruno Niederbacher. Gerade in der politischen oder weltanschaulichen Auseinandersetzung wäre die thomasische Haltung sinnvoll: Zuallererst bemüht sich Thomas von Aquin, die Frage präzise zu formulieren, worüber überhaupt diskutiert wird. Wenn dieser Schritt übergangen wird, diskutieren die Gesprächspartner drauflos und bald aneinander vorbei, weil sie sich nicht im Klaren sind, worum es in der Auseinandersetzung eigentlich geht. Auch in Fernsehdiskussionen oder anderen Diskussionsformaten der Gegenwart beobachtet der Innsbrucker Philosoph häufig einen Mangel an Aufmerksamkeit für die Frage über die Frage. Das könnte auch daran liegen, dass das Ziel der Diskussion nicht immer die Wahrheitsfindung ist. Für Thomas von Aquin ist es jedenfalls wichtig, der Wahrheit auf den Grund zu gehen, nicht, den Gegner fertig zu machen. Der Thomas-Experte fasst diese Haltung so zusammen: Im Bewusstsein diskutieren, dass man sich auch täuschen kann.
Auch Thomas von Aquin hat sich aus heutiger Sicht immer wieder getäuscht. Darum stoßen sich Leser:innen der Gegenwart etwa daran, dass er Frauen als „misslungene Männer“ bezeichnete. Dass ein Philosoph und Theologe des Mittelalters nicht in allen Fragen auf dieselben Schlüsse kommt wie Philosophinnen oder Theologen des beginnenden 3. Jahrtausends, ist allerdings nicht überraschend. „Ich würde nicht alles verwerfen, nur weil es in den thomasischen Schriften auch Sätze gibt, die aus unserer Sicht einfach falsch sind. Da gibt es vieles. Auch über die Juden. Wenn man sagt, aha, da steht das und das drinnen und deswegen kann man sich damit nicht mehr beschäftigen, ist das zu einfach. Man sollte unterscheiden: Was kann ich lernen, und was ist zeitbedingt. Das Zeitbedingte muss man eben weglassen, das kann man nicht einfach wiederholen. Anderes kann man lernen, wie begriffliche Unterscheidungen oder Argumentationsstrategien.“
Die Theologie der Gegenwart bemüht sich, Fragen der Menschen von heute aufzugreifen. „Da ist was dran!“, sagt der Jesuit Bruno Niederbacher. „Wir müssen die Botschaft Jesu Christi ins Hier und Heute übertragen.“ Und dennoch warnt er davor, im Hinblick auf die Leistungen Thomas von Aquins das Kind mit dem Bade auszuschütten. Die Frage etwa, wie Glaube und Vernunft zusammenpassen, sei immer noch relevant: „Was kann man als vernunftbegabter Mensch wirklich glauben? Was ist Glaube überhaupt? Und welche Art von Rationalität kann man von ihm verlangen?“ An Fragen wie diesen arbeitete sich der mittelalterliche Philosoph ab. Er entwickelte eine „Theorie des Glaubens“. Bruno Niederbacher empfiehlt, Thomas von Aquin mit offenem Geist zu lesen: „Wir haben die Freiheit, uns mit diesem Erbe auseinanderzusetzen und davon zu lernen.“
1225 geboren bei Aquino, das zwischen Rom und Neapel liegt
7. Kind einer gräflichen Familie
5-jährig an das Benediktinerkloster Montecassino übergeben
19 Jahre war er alt, als er zu den Dominikanern übertrat.
4 000 Seiten jährlich verfasste Thomas von Aquin im Durchschnitt.
49 Jahre wurde er alt.
49 Jahre nach seinem Tod wurde er heiliggesprochen.
Aristoteles. Griechischer Philosoph im 4. Jahrhundert vor Christus. Das Gedankengut dieses vorchristlichen Gelehrten
integrierte Thomas von Aquin in die Theologie des Mittelalters.
Scholastik. Bezeichnung für die Theologie und Philosophie des Mittelalters mit ihrem Bemühen, Glauben und Vernunft in
Einklang zu bringen. Thomas von Aquin war prägend dafür.
Kirchenlehrer. Die katholische Kirche verehrt 33 heilige
Männer und 4 heilige Frauen als Kirchenlehrer bzw.
Kirchenlehrerinnen. Thomas von Aquin ist einer davon.
Zum Bild: Ein Fresko aus dem 14. Jahrhundert zeigt Thomas von Aquin in der Kirche des italienischen Dorfes Loreto Aprutino als übergroße Gestalt. Tatsächlich war er einer der prägendsten Theologen und Philosophen des Mittelalters, ein herausragender Wissenschaftler seiner Zeit und darüber hinaus.
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