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Selbstliebe hat zunächst einmal nichts mit Selbstverliebtheit oder Narzissmus zu tun, stellt Psychotherapeutin Angela Christoph klar: „Es geht nicht darum, zu sagen, ich bin so toll, cool und großartig, sondern sich selbst mit Freundlichkeit, Akzeptanz und Mitgefühl zu begegnen. Und sich selbst mit all seinen Stärken und Schwächen anzuerkennen.“ So wie man einen guten Freund oder eine gute Freundin behandeln würde, solle man sich selbst behandeln. Dazu gehört auch, nachsichtig mit sich zu sein: „Wir haben diese Anteile in uns, die stressverstärkend wirken und die uns kritisieren, die uns darin antreiben, perfekt sein zu wollen oder dieses und jenes leisten zu müssen. Selbstmitgefühl trägt dazu bei, dass diese Antreiber nicht zu stark werden.“ Es geht darum, sich mit liebevoller Güte zu begegnen und sich Dinge auch einmal zu verzeihen, es zum Beispiel als okay zu betrachten, etwas gerade nicht zu schaffen. Besonders für häufig gestresste Menschen ist es empfehlenswert, Selbstliebe zu üben, da sie oft zu wenig „auf ihre eigene Gesundheit und ihre Grenzen achten“.
Dankbarkeit ist einer der Wege, Selbstliebe und Selbstfürsorge in den Alltag einzubauen. Beispielsweise kann man sich abends hinsetzen und überlegen, wofür man heute dankbar ist, sagt Christoph: „Unser Gehirn merkt sich immer, was schiefgelaufen ist. Wenn ich darüber denke, welche drei Dinge heute gut gelaufen sind oder worauf ich stolz bin, wird der Fokus auf das Positive gerichtet.“
Achtsamkeitsübungen sind eine weitere Möglichkeit, auf sich zu schauen, etwa mit der „einfachsten Übung der Welt“: „Bei mir reicht es schon, einfach bewusst zu atmen. Ich öffnet das Fenster, stelle mich davor und atme durch.“ Währenddessen kann man in sich hineinhorchen und erspüren, wie es einem gerade geht. Wer möchte, könne natürlich auch bestimmte Atemtechniken ausprobieren, etwa die 4-4-6-Methode (vier Sekunden einatmen, vier Sekunden halten, sechs Sekunden ausatmen).
Sich kleine Erholungsinseln im oft hektischen Alltag zu schaffen, kann auch ein Akt der Selbstliebe sein. Wie lange eine Pause sein sollte, damit sie als erholsam empfunden wird, ist zwar individuell verschieden. Aus dem Stressmanagement weiß Angela Christoph jedoch, dass man alle 90 Minuten mindestens eine Pause von fünf Minuten braucht. Diese kann genutzt werden für Aktivitäten, die einem guttun: Eine Tasse Tee, einige Minuten bewusstes Atmen (siehe Tipp weiter oben), ein paar Seiten im Lieblingsbuch lesen, ein kleiner Spaziergang draußen oder ein Besuch beim kleinen Italiener ums Eck mit dem Vorsatz, das Essen bewusst zu genießen.
Ebenso wenig wie mit Narzissmus hat Selbstliebe etwas mit Selbstoptimierung zu tun. Wichtiger ist, sich zu überlegen, wie man auch kleine Fürsorge-Aktivitäten in den Alltag einbauen kann: „Es muss nicht immer etwas Großes sein. Es reicht schon, wenn man anstatt mit dem Auto zu fahren zu Fuß einkaufen geht.“ Zusammen mit Kindern kann das auch zu einem Ritual werden. Durchs gemeinsame In-die-Natur-Gehen, Kochen oder Spielen kann Kindern auch etwas über Selbstliebe und Selbstfürsorge beigebracht werden, sagt die Expertin. Sie könnten sehen, dass es in Ordnung ist, in Ruhe zu malen oder ein Buch zu lesen, anstatt ständig etwas leisten zu müssen oder eine tipptopp aufgeräumte Wohnung zu haben. Nicht unwesentlich sind auch technikfreie Zeiten, wie sie betont: „Einmal alle Smartphones wegzulegen und den Fernseher auszuschalten kann helfen, zur Ruhe und zu sich selbst zu kommen.“
Auch wenn es für Familien wichtig ist, gemeinsame Rituale zu haben, brauchen die Elternteile auch einmal ein paar Stunden für sich. Ob freitäglicher Freundestammtisch oder wöchentliche Yogastunde: „Diese persönlichen Auszeiten muss man bewusst vereinbaren. Dafür braucht es eine gute Kommunikation.“
Mit Selbstliebe anzufangen heißt, auf sich zu achten, und das in allen Bereichen des Lebens: „Wie sorge ich für mich, schlafe ich genug, esse ich gesund – dafür braucht es nicht gleich einen Meditationslehrgang oder einen Ernährungsratgeber. Es reichen schon kleine Dinge. Vertrauen Sie auf Ihr Gefühl und spüren Sie in sich hinein“, rät Psychotherapeutin Angela Christoph.
Psychotherapeutin, Coach und Supervisorin in Wien. Sie begleitet Menschen mit einem ressourcenorientierten Ansatz durch Krisen, Veränderungsprozesse und persönliche Weiterentwicklungen. Ein besonderes Anliegen ist ihr dabei, die Bedeutung von Selbstfürsorge als Grundlage für Resilienz und seelische Gesundheit zu vermitteln.
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