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Sehr geehrter Herr Stifter,
das letzte Gedenkjahr zu Ihren Ehren ist kaum vergangen (2005 war das, zu Ihrem 200. Geburtstag), da kommt schon das nächste daher. Darf ich Ihnen zur 150. Wiederkehr Ihres Ablebens ein paar Fragen stellen?
Ihr Werk ist ja in eingefleischten Expertenkreisen weltberühmt. Welches Ihrer Werke sollte man aber heutigen jungen Stifteranalphabeten in die Hand drücken? Herr Hofrat, Sie wissen: 25 % Prozent unserer Fünfzehnjährigen können nicht sinnerfassend lesen (das war zu Ihrer Zeit, wenn auch aus anderen Gründen, vielleicht auch nicht anders).
In unseren Lehrplänen ist die Kenntnis von Literatur nur mehr sehr beschränkt vorgesehen. Es geht vielmehr um Kompetenzen. Wie denken Sie als ehemaliger Landesschulinspektor darüber? Welchen Stellenwert sollten Ihrer Meinung nach der Literaturunterricht und das Lesen einnehmen? Vergessen Sie bitte aber nicht: Wir leben im digitalen Zeitalter, in einem Land der Wirtschaft, Herr Hofrat.
Oder braucht es, um Ihr Leben und Werk bekannt und begreiflich zu machen, eher eine filmische Bearbeitung? Einen melodramatischen Mehrteiler, der Ihre unglückliche Liebe zur Friedbergerin Fanny Greipel in den Mittelpunkt stellt? Oder wäre eine kulinarische Dinnershow (Sie waren ja ein bekennender Völler) mit Mitwirkung bekannter Fernsehköche die quotenträchtigste Möglichkeit, Ihr Werk unter die Leute zu bringen?
Wie gefällt Ihnen die Überlegung, Ihre Romane und Erzählungen in Zeiten von Burnout und Stress als Mittel der Entschleunigung zu lesen? Ist Ihr sanftes Gesetz etwa gar kompatibel mit einem Konzept von sanftem Tourismus? Herr Hofrat, Sie als geborener Oberplaner: Manche wünschten sich den Adalbert Stifter als Brückenbauer in der Grenzregion, als Vermittler zwischen tschechischen und oberösterreichischen Nachbarn in einem Annäherungsprozess, der fast dreißig Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs wieder ins Stocken zu geraten scheint. Wäre das eine Rolle für Sie?
Was halten Sie als einer der Gründungsväter der Österreichischen Landesgalerie von der Idee, dass demnächst die Moderne Kunst aus der Galerie aus- und stattdessen das Biologiezentrum einziehen soll?
Abschließend, Herr Hofrat: Die Literatur hat in Oberösterreich nicht wirklich eine Lobby. Aus budgetären Konsolidierungsmaßnahmen wurde kürzlich das Literaturbudget des Landes um 34 % Prozent gekürzt (bei einem Anteil von nur 0,1 % am gesamten Kulturbudget!). Wie stehen Sie zur Förderung gegenwärtigen Kunstschaffens? Oder reicht es eh, wenn ein Land alle fünfzig, hundert Jahre eine repräsentative Figur zur Verfügung hat? Das neunzehnte Jahrhundert den Stifter, das zwanzigste den Bernhard?
Um Ihre geneigten Antworten bitte ich Sie bis zum 28. Jänner, Ihrem Todestag. Dann lassen wir Sie eh wieder eine Zeitlang in Ruhe – wahrscheinlich bis zum Jahr 2055, ihrem 250. Geburtstag.
Mit besten Grüßen aus dem 21. Jahrhundert!
Rudolf Habringer
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