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Zur Lage der Nation: Wie erleben Sie die Situation in Österreich?
Franzobel: Ich werde mir zwar keinen Anschober über dem Steißbein tätowieren lassen und auch keinen Kurz, aber die Regierung hat das gut gemacht. So wie es aussieht, hat der Virus dem österreichischen Gesundheitssystem nicht viel anhaben können. Wie sich das wirtschaftlich ausgehen soll, weiß ich nicht. Die 43 Milliarden, die jetzt verteilt werden, müssen ja von irgendwo herkommen, sonst gibt es eine Megainflation mit unabsehbaren Folgen. Österreich hat sich ganz gut durchgewurstelt.
Was hat sich für Sie verändert: als Mensch, als Schriftsteller?
Franzobel: An meiner Situation hat sich wenig geändert, weil das Schreiben ja zuhause stattfindet. Allerdings lebt meine Literatur von Geschichten, die mir jemand erzählt, von Wörtern und Sätzen, die ich irgendwo aufschnappe – das fehlt jetzt natürlich völlig. Ich habe das Glück, in den letzten Jahren viel gereist zu sein, also habe ich gerade wenig Sehnsucht und viel Erinnerungsreservoir.
Welche Themen drängen sich jetzt auf?
Franzobel: Was mich beschäftigt, ist die verordnete Entmündigung. Das ist so wie mit dem Sicherheitsgurt – den musste man auch gesetzlich vorschreiben, weil die Leute zu dumm waren, um die Zahl der Verkehrstoten zu senken. Nur momentan haben wir keinen Sicherheitsgurt, sondern eine verordnete Zwangsjacke. Vielleicht notwendig. Es wird aber wichtig sein, genau darauf zu achten, dass diese Einschnürung kein Dauerzustand wird. Auch die Verteilung der Besitzverhältnisse macht mir Sorgen, weil es darf nicht sein, dass die Krise Reiche reicher und Arme ärmer macht, aber genau das passiert, wenn es kein politisches Gegensteuern gibt. Eine Willensbekundung dazu fehlt noch völlig.
Gesundheit gilt als höchstes Gut. Sie haben in diesem Zusammenhang das Wort „Gesundheitsdiktatur“ erwähnt. Was meinen Sie damit?
Franzobel: Ich halte die Gesundheitsdiktatur für gefährlich, weil sie lust- und lebensfeindlich ist. Vieles, was Vergnügen bereitet, ist aus medizinischer Sicht ungesund. Aber wer sagt, dass die seelische Ausgeglichenheit durch das tägliche Glas Wein nicht viel wichtiger ist als eine kamillenteereine Leber? Rauchen wurde lange als gesundheitsfördernd eingestuft, viele Dinge, die uns als "gesund" verkauft worden sind, wie etwa Vitaminpräparate, haben sich später als schädlich herausgestellt. Ich bin für bestmögliche Information und Eigenverantwortung. Man müsste in der Schule Ernährung unterrichten, das sollte sogar ein Hauptfach sein. Und die Regierung soll gefälligst dafür sorgen, dass Konsumenten nicht belogen werden.
Zum Thema Risikogruppen und ältere Menschen: Manche haben die durch die Isolierung verspürte Einsamkeit als sehr bedrohlich erlebt. Wie sehen Sie die Schutzmaßnahmen?
Franzobel: Die staatlich verordnete Entmündigung halte ich für problematisch. Als gesunder Achtzigjähriger würde ich mich nicht monatelang einsperren lassen, da will man doch jeden Tag, der einem bleibt, genießen. Mir ist die Absolutsetzung der Expertenmeinungen suspekt. Ich glaube nämlich nicht, dass es nur eine Wahrheit gibt, auch nicht bei diesem Virus. Jetzt sind alle sehr humorlos und festgefahren in ihrer Meinung.
Können Sie der Corona-Zeit auch etwas Positives abgewinnen?
Franzobel: Zweifellos hat der Virus auch gute Seiten: Der Himmel wird nicht mehr von Steppnähten aus Kondensationsstreifen zerteilt, die Luftqualität hat sich nach oben katapultiert und Tiere erleben eine Zeit der Reconquista. Die Krise fördert den Zusammenhalt, vieles, was vor drei Monaten undenkbar schien, ist jetzt selbstverständlich: Homeoffice, E-Learning, Rezepte per Telefon, weniger Verkehr, vielleicht sogar ein bedingungsloses Grundeinkommen. Die Menschen lernen ihre Mitbewohner kennen, und Politiker kommen drauf, dass es nicht so günstig ist, alles in China produzieren zu lassen. Vieles Unnötige fällt weg.
Sie sind freischaffender Künstler. Viele sind durch die Corona-Krise langfristig in ihrer Existenz bedroht: Wie geht es Ihnen – und Ihren Kolleg/innen?
Franzobel: Mir geht es wie vielen anderen, ich lebe vom Notgroschen. Kompensieren lässt sich da nichts, aber ich will nicht jammern, es gibt viele Menschen, die sehr viel schlimmere Existenzängste durchleiden. Schriftsteller haben das Glück, weiterarbeiten zu können. Für Musiker und Kollegen in den darstellenden Künsten ist das sehr viel heikler. Ihre Situation ist desaströs. Vielleicht wird es Veranstaltungen erst wieder geben, wenn die Impfung da ist. Vielleicht entstehen sogar neue Kunstformen, aber davon erwarte ich mir nichts, denn das gemeinsame Kunsterlebnis ist nicht ersetzbar.
Gibt es so etwas wie Solidarität unter Schriftstellern?
Franzobel: Unter den Künstlern und Kunstvermittlern ist so etwas wie ein Wettstreit im Jammern ausgebrochen. Wer am lautesten heult, hat am ehesten die Chance, etwas zu bekommen. Solidarität schaut anders aus. Solidarität unter Schriftstellern? Davon weiß ich nichts, aber wichtiger ist ohnehin eine Solidarität unter allen Menschen. Ob es die gibt? Wenn es hart auf hart kommt, ist sich leider immer jeder selbst der Nächste.
Woran arbeiten Sie gerade? Wann erscheint ihr nächstes Buch?
Franzobel: Ich habe einen historischen Roman über einen der ersten spanischen Eroberungszüge nach Nordamerika geschrieben. Das Buch spielt in der Mitte des 16. Jahrhunderts und handelt davon, wie eine Expedition von unfähigen, eitlen Führern in den Untergang geführt wird. Nebenbei werden noch Natur und indigene Ureinwohner devastiert – also durchaus ein Gleichnis auf die Gegenwart. Wenn mir der Virus keinen Strich durch die Rechnung macht, sollte der Roman im Frühjahr 2021 erscheinen.
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