KOMMENTAR_
In den letzten Jahren war dieser See nie mehr ganz zugefroren. Früher konnte man ihn im Winter sogar mit schweren Fahrzeugen überqueren. Weil viele an diesem Tag auf dem Eis unterwegs waren, wagten auch wir den Spaziergang auf Eis. Es ist lange genug kalt gewesen in den Nächten.
Ob der Boden trägt – jener des Menschseins nämlich? Diese Frage lässt sich in unseren Tagen nicht mehr so leicht mit einem überzeugten Ja beantworten. Wir leben in einer Zeit der Erschütterungen bisheriger Selbstverständlichkeiten.
Wie das Eis auf dem See ist der tragende Grund des Menschseins zusammengesetzt aus flüchtigen Molekülen. Nur unter besonderen Bedingungen trägt er.
Dass Schwächeren geholfen werden soll, zum Beispiel. Das ist eine der bedrohten Selbstverständlichkeiten. „Natürlich!“, sagte man früher. „Schiebt sie ab!“ oder „Haltet sie draußen!“, hört man heute.
Dass man nicht lügen soll. Den Kindern schon brachte man es bei. Wer besser lügt, setzt sich durch. Das ist heute fast gängige politische Praxis. Man kann sich dabei fast schon unbeschadet erwischen lassen.
Wie Risse auf dem Eis tun sich die Risse im Traggrund des Menschseins auf.
Dass man sich bei Erschütterungen gleich davonstiehlt: aus Beziehungen; von Organisationen. Es wird viel beschuldigt. Es wird wenig Reue geübt oder vergeben. Es ist, als ob man schmutzige Wäsche nicht mehr waschen, sondern gleich wegwerfen würde. Mit der Zeit kommt das teuer – nur merkt man es erst – wenn die Decke gebrochen ist.
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