Wort zum Sonntag
„Politischer Islam“ ist umstritten: Stimmt der Begriff?
Diffamiert er Muslime? Wer darf über wen wie reden?
Islamismus, der in der Forschung etwas missverständlich als „politischer Islam“ bezeichnet wird, existiert nicht nur in einer gewalttätigen, „dschihadistischen“ Form. Auch in Europa gibt es Strömungen, die die demokratische Gesellschaftsordnung ohne Gewaltanwendung, durch legale Mittel, schwächen oder überwinden wollen zugunsten einer Ideologie, die auf vermeintlich islamischen Werten beruht. Um solche Strömungen zu erkennen und zu benennen, errichtete die österreichische Regierung vor einem Jahr die „Dokumentationsstelle Politischer Islam“. Als ihre Aufgabe nennt die Stelle die wissenschaftliche Erforschung von Netzwerken und Strukturen, die „die Umgestaltung bzw. Beeinflussung von Gesellschaft, Kultur, Staat oder Politik anhand von solchen Werten und Normen anstrebt, die von deren Verfechtern als islamisch angesehen werden, die aber im Widerspruch zu den Grundsätzen des demokratischen Rechtsstaates und den Menschenrechten stehen.“ Ziel ist, Gefahr für Demokratie, Grundrechte, Rechtsstaat und dessen Institutionen abzuwenden.
In diesem Sinne lud die Dokumentationsstelle vorige Woche kurzfristig zur Präsentation „aktueller Forschungsergebnisse“ mit Integrations- und Kultusministerin Susanne Raab. Konkreter wurde die Ankündigung nicht, um welche Forschungsergebnisse es sich handeln würde, und wesentlich konkreter wurde auch die Präsentation selbst nicht, wenn man sich Inhalte erwartete, wie etwa: Mit welchen Methoden wird die Gesellschaft unterwandert und langsam umgestaltet, sodass Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in Gefahr sind? Welche Netzwerke sind dabei die gefährlichsten und wie sind sie zu erkennen? Wohl war von drei Dossiers die Rede, die die drei größten islamischen Dachverbände in Österreich – ATIP, Millî Görüs und Graue Wölfe – und ihre Verbindungen ins Ausland analysieren würden. Die Analysen selbst wurden allerdings erst im Anschluss an die Präsentation in Heftform verteilt, sodass eine sachliche Auseinandersetzung darüber an Ort und Stelle nicht möglich war. Das lenkte umso mehr Aufmerksamkeit auf das Einzige, was tatsächlich bildhaft präsentiert wurde: die mittlerweile vielbesprochene Islamlandkarte, die ein Institut der Universität Wien bereits seit einigen Jahren vorbereitet und im Auftrag der Dokumentationsstelle Politischer Islam weiterentwickelt hatte, die aber bei genauer Betrachtung noch sehr unvollständig ist – ein offener Forschungsprozess, so die Erklärung. Man wolle durch die Landkarte die Stärken und Schwächen der über 600 muslimischen Einrichtungen in Österreich sichtbar machen. Es ginge darum, die Vielfalt des Islam in Österreich übersichtlich darzustellen. Ministerin Susanne Raab erläuterte die Beweggründe für die in Auftrag gegebene Islamlandkarte in einigen Punkten: Man wolle Transparenz schaffen – nicht erst, wo Gesetze übertreten würden; außerdem zwischen dem Islam als Religion und als politischer Ideologie unterscheiden. Und Anhaltspunkte für die Politik, wer „gute Partner“ seien und wohin Fördergelder fließen sollten. „Die Mehrheit der Muslime lebt friedlich in Österreich“, betonte sie in diesem Zusammenhang, und es sollte keinen Generalverdacht gegen den Islam geben.
Auch der Autor der Islamlandkarte, der Islamwissenschaftler Ednan Aslan, erwähnte, dass muslimische Organisationen teilweise gute Integrationsarbeit leisten würden in Form von Deutschkursen, Flüchtlingshilfe oder Nachhilfe. Allerdings gäbe es eben auch gefährliche Tendenzen, „darauf wollen wir die Bevölkerung aufmerksam machen“. Außerdem wolle man damit eine Debatte anregen und die muslimischen Organisationen zum Dialog einladen. „Reformen unter Muslimen können wir nicht ohne öffentliche Debatten bewirken“, so Aslan. Der Leiter des wissenschaftlichen Beirats der Dokumentationsstelle, der islamische Theologe Mouhanad Khorchide von der Universität Münster, ergänzte, dass es der Stelle mit Landkarte und Dossiers um Differenzierung ginge und um Dialog: „Wir laden alle ein, die Debatte gemeinsam zu versachlichen.“ Es solle ein Diskurs jenseits von Emotionalität und Polemik entstehen.
Genau das passierte in den Tagen nach der Präsentation allerdings nicht. Vielmehr entspann sich eine emotionale Debatte über die Landkarte, Datenschutz und die Gefährdung der nun öffentlich bekannten Einrichtungen, bis hin zum Entzug des Logos der Universität Wien für das Forschungsprojekt durch Universitätsrektor Heinz Engl. Er distanzierte sich „insbesondere vom ‚Impressum‘, in dem zur Meldung von ‚Informationen zu einzelnen Vereinen oder Moscheen‘ aufgefordert wird“.
Dass die Dokumentationsstelle Politischer Islam Interesse an Informationen über islamische Einrichtungen hat, sieht die im interreligiösen Dialog engagierte Theologin Regina Polak als berechtigt an. „Landkarten religiöser Gruppierungen sind religionswissenschaftlich durchaus üblich“, meint sie. „Aber seit Jürgen Habermas wissen wir, dass Wissenschaft immer von Interessen geleitet und nie wertneutral ist.“ Aufgrund der Präsentation durch die Dokumentationsstelle dominiere in diesem Fall das politische Interesse, der Kampf gegen den Islamismus. Dieser sei notwendig, dürfe aber keinen Generalverdacht gegenüber allen islamischen Einrichtungen fördern. „Wissenschaft findet ja nicht im luftleeren Raum statt“, sie müsse verantwortlich den Kontext berücksichtigen – und zu diesem gehöre auch ein Ansteigen von Übergriffen gegen Muslime.
Überdies gäbe es Methoden, „die die Beforschten als Subjekte ernst nehmen“. Die Betroffenen könnten während der Forschung bereits beteiligt werden, so könnten auch Reformen initiiert werden. Das sei offensichtlich nicht geschehen, wenn man die Reaktionen der muslimischen Verbände beachte. „Menschen sind ja nicht Objekte, die man dokumentiert wie Gräser oder Gewächse.“ Wenn man tatsächlich in Dialog treten wolle, müsse man auch die Machtverhältnisse zwischen dem Staat und einer Minderheit beachten. Man rede zu viel über Muslime, sie selbst kämen wenig zu Wort. Andererseits räumt Regina Polak ein, dass es schwierig sei, über das Thema Islam und Islamismus differenziert zu diskutieren. „Wir haben zwei Probleme, Islamfeindlichkeit und islamistischen Extremismus. Beides gehört bearbeitet, nicht gegeneinander ausgespielt.“ Polaks Anfrage an das Projekt „Landkarte“ bleibt: „Welchen Beitrag leistet dieses Projekt zum Selbstverständnis einer Gesellschaft, in der Muslime und Nicht-Muslime miteinander leben müssen?“ Es trage jedenfalls nicht dazu bei, ein ohnehin aufgeheiztes Klima zu deeskalieren.
Der Wiener Religionsphilosoph Kohki Totsuka weist darauf hin, dass nicht nur eine Seite für die aufgeheizte Stimmung verantwortlich ist. Er wundert sich über das „Tamtam“ rund um die Landkarte und darüber, dass die Islamische Glaubensgemeinschaft nicht schon längst so eine Karte erstellt hatte. Er wünscht sich eine Landkarte, die den Islam nicht zum größten Problem des Landes stilisiert. „Die meisten Muslime sind ganz normale Leute.“ Und er wünscht sich klare Worte aus der Politik: „Es wäre hilfreich, wenn Regierungsmitglieder sagen würden, selbstverständlich ist der Islam Teil unseres Landes.“ «
Der evangelisch-lutherische Bischof Michael Chalupka empfiehlt, die Islamlandkarte „schnell wieder vom Netz zu nehmen“. Einerseits sei mit der gesetzlich anerkannten Religionsgemeinschaft der Muslime darüber kein Gespräch geführt worden; andererseits könne die Landkarte, die teils Privatadressen von verantwortlichen Personen auflistet, Menschen gefährden, so Chalupka. Die evangelische Kirche würde sich „eine Landkarte verbieten, in der ihre Einrichtungen ... vom Staat in die Öffentlichkeit gebracht werden“.
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