Wort zum Sonntag
Spricht man in Österreich von Ökumene, denkt man an die Beziehung von katholischer Kirche zu den Protestanten, in den letzten Jahren auch zu den orthodoxen Kirchen. Wer aber den Weltkirchenrat in Genf besucht, dem eröffnet sich ein Universum von Kirchen. Dem Ökumenischen Rat der Kirchen (ÖRK) gehören weltweit 349 Mitglieder an.
Das Gebäude ist ein Bürokomplex aus den frühen 1960er-Jahren. Im Vergleich zu einem Barockstift nimmt sich das Äußere wenn schon nicht armselig, so doch sehr nüchtern aus. Aber das Bauwerk des ÖRK hat ein durchdachtes spirituelles Konzept. Von dem weitläufigen Foyer aus kann man die zwei größten Räume des ökumenischen Zentrums betreten: die Kapelle als das geistliche Herzstück des Hauses und den Konferenzsaal. Die beiden Räume sind wie der Brennpunkt einer Ellipse, die der Arbeit des ÖRK ihren Zusammenhalt gibt. Der evangelische Pfarrer Benjamin Simon und der rumänisch-orthodoxe Theologe Vasile Octavian Mihoc, beide Mitarbeiter des ÖRK, führen die Linzer Pro-Oriente- Gruppe als Erstes in die Kapelle. Die Einrichtung nimmt aus allen christlichen Konfessionen Elemente auf – Ikonen haben hier ebenso ihren Platz wie Altarbibeln in der Tradition der Reformation. Jeden Morgen findet in der Kapelle eine Andacht statt – zur Zeit leider noch online, erklären die beiden Theologen, denn das Gebet trägt alle Bemühungen um die Einheit. Das zeigt sich auch an der weltweiten Initiative, die vom ÖRK in Genf ausgeht und die auch in Österreich durchgeführt wird: die Weltgebetswoche für die Einheit der Christen, die jährlich von 18. bis 25. Jänner stattfindet.
Die Pro-Oriente-Gruppe verlässt die Kapelle und geht in den unmittelbar anschließenden Konferenzsaal. In diesem Raum, der einigen hundert Leuten Platz bietet, erklären Simon und Mihoc Geschichte und Ziele des ÖRK. Seit Beginn des 20. Jahrhunderts begannen sich vor allem protestantische Kirchenführer zu treffen, um sich über ihre Missions- und ihre Hilfsaktivitäten auszutauschen. Das Ergebnis war im Jahr 1948 die Gründung des Ökumenischen Rates der Kirchen. Heute zählt er 349 Mitgliedskirchen mit 560 Millionen Menschen in 120 Ländern. Von der Pfingstkirche bis zu orthodoxen Kirchen gehören unterschiedliche Gemeinschaften dem ÖRK an, nicht aber die römisch-katholische Kirche. Sie pflegt ein enges Verhältnis zum ÖRK, in manchen Ländern wie Österreich ist es so eng, dass die katholische Kirche Österreichs schließlich doch seit 1994 Mitglied ist.
Die konkrete Arbeit des ÖRK ist nicht einfach zu fassen, sie besteht in Knochenarbeit: in Gesprächen, Konferenzen, dem Erarbeiten von Dialogdokumenten und dem Bemühen, miteinander die Zeichen der Zeit zu interpretieren, damit die Kirchen gemeinsam auf die globalen Herausforderungen reagieren können. Die Sorge um die Umwelt und der Entwurf einer Ökotheologie sind dabei besondere Anliegen.
Aber Simon und Mihoc machen kein Hehl daraus, dass das ökumenische Schiff deutlich an Geschwindigkeit verloren hat. An der Zahl der Mitarbeiter in Genf wird es deutlich: Heute sind 80 Personen beschäftigt, in den 1970er-Jahren waren es dreimal bis viermal so viel. „Es gibt einen schrecklichen Zug weg von der ökumenischen Weite zur Konzentration auf das je Eigene“, sagt Mihoc nüchtern. Zwei orthodoxe Kirchen sind ausgetreten, manche haben ihre Mitgliedschaft ruhend gestellt. Ganz schwierig ist es, dass die ethischen Fragen rund um die Homosexualität nicht zu kirchentrennenden Fragen werden, betont er. Simon weist aber auch auf die Aufbrüche hin, die es aktuell auch gibt: Dank der Zusammenarbeit der Kirchen können sie sich spürbar in die Gesellschaft einbringen, wie etwa im Sudan oder in Kolumbien. Überraschenderweise hat die Pandemie ein neues Interesse an der Ökumene geschaffen. Die beiden ÖRK-Theologen erzählen von Kirchen vor allem aus Afrika, die jetzt um Mitgliedschaft angeklopft haben, weil sie in dieser Situation nicht allein sein wollen.
Dass Ökumene nicht Hochkonjunktur hat – diese Erfahrung macht auch der Lutherische Weltbund, der ebenfalls im Ökumenischen Zentrum in Genf untergebracht ist. 148 lutherische Kirchen mit 75 Millionen Mitgliedern haben sich in einem Weltbund zusammengeschlossen. „Wir unterstützen unsere Mitgliedskirchen, dass sie Zeugnis geben können von der befreienden Gnade des Evangeliums, sagt Chad. M. Rimmer, ein amerikanischer Mitarbeiter. Die Pro-Oriente-Gruppe sitzt auch bei der Begegnung mit dem Weltbund im großen Konferenzsaal. Man braucht viel Sitzfleisch, wenn man in die Welt der Ökumene eintauchen will. Der Weltbund ist auch in 25 Ländern in der Flüchtlingsarbeit tätig und betreut 2,3 Millionen Migranten, erzählt Chad Rimmer: Die Hauptaufgabe der 65 Mitarbeiter/innen des Weltbunds in Genf besteht aber in der theologischen Arbeit und im Kontakt mit den Glaubensgemeinschaften – was zunehmend schwieriger wird.
„Das ist nicht nur ein Phänomen der Kirchen, sondern noch mehr der Politik. Viele Staaten ziehen sich aus dem globalen Engagement zurück“, meint Rimmer. Aber er gibt der Pro-Oriente-Gruppe ein Bild mit, das sie nicht ernüchtert weggehen lassen soll: „Ökumene bedeutet Brückenbau. Manchmal arbeitet man mehr an den Pfeilern, also an der eigenen Identität, dann wieder mehr an den verbindenden Elementen. Wichtig ist, dass man baut.“ Der lutherische Pfarrer kann sich ein Christsein ohne Ökumene nicht vorstellen und er zitiert in ökumenischer Verbundenheit Papst Franziskus, der gesagt hat: „Ökumene ist eine Reise der Dankbarkeit und der Gnade.“
Momente
Bischof Manfred Scheuer, Pro-Oriente-Linz-Vorsitzender Josef Pühringer, der evangelische Superintendent Gerold Lehner und die Ökumenebeauftragte der Diözese Linz, Isabella Bruckner, waren Teilnehmer der Pro-Oriente-Begegnung in Genf. Hier ihre Reaktionen.
„Ökumene ist Beziehungs-, Konflikt- und Lerngeschichte. Ich halte es für entscheidend, dass wir miteinander in Beziehung bleiben und uns auf die gemeinsame Mission konzentrieren: auf das Bekenntnis zum dreifaltigen Gott und auf das Zeugnis für Christus.“
Bischof Manfred Scheuer
„Was in Jahrhunderten auseinandergegangen ist, geht nicht in wenigen Jahrzehnten zusammen. Es stellt sich immer mehr die Frage, wie wir Einheit der Kirchen verstehen: ob als absolute Einheit in einer einzigen Organisation oder als gemeinsame Klammer, die einer qualifizierten und versöhnten Vielfalt Platz gibt. Doch es geht nicht nur um die Organisationsform, sondern darum, wie die Kirche den Menschen dienen kann.“
LH a. D. Josef Pühringer
„Durch Ökumene gewinnt man Freunde, Inspiration, man lernt besser zuzuhören und miteinander zu kommunizieren. In Genf sieht man auch, dass man sich auf ganz vielen Ebenen bemüht, das Reich Gottes sichtbar zu machen.“
Superintendent Gerold Lehner
„Ich bin beeindruckt von dem Bewusstsein für Ökumene auf globaler Ebene, das sich in Genf zeigt. Interessant finde ich auch die unterschiedlichen Formen von Reformation und Spiritualität, die sich in der Schweiz zeigen.“
Ökumenebeauftragte Isabella Bruckner
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