Wort zum Sonntag
„100 Jahre Burgenland“ werden heuer stolz gefeiert. Der Stolz hat seine Berechtigung, 100 Jahre sind nicht ganz exakt: Wohl kam das Gebiet des heutigen Burgenlands durch den Friedensvertrag von Saint-Germain und das spätere Venediger Protokoll 1921 zu Österreich, doch bereits 1938 wurde es auf die Reichsgaue Niederdonau (Niederösterreich) und Steiermark aufgeteilt, erst 7 Jahre später wurde es wieder selbständig – sodass es eigentlich 100 minus sieben Jahre alt ist. Andererseits: Die Städte, Dörfer und ihre Kultur sind weit älter als hundert Jahre.
Ob es wirklich das jüngste Bundesland ist, entscheidet sich daran, ab wann man Wien als Bundesland betrachtet: 1920 wurde es im Bundes-Verfassungsgesetz als eigenes Land definiert, das Trennungsgesetz von Niederösterreich trat aber erst 1922 in Kraft. So gesehen „überholte“ das Burgenland Wien im Jahr dazwischen. Was sicher ist: dass das Gebiet über tausend Jahre lang zu Ungarn gehörte und nichts von seinen zukünftigen Grenzen und dem Namen „Burgenland“ ahnte. Die Grenzziehung nach dem Ersten Weltkrieg war ein längerer Prozess. Das Gebiet wurde damals Deutsch-West-ungarn genannt. Das heutige Burgenland umfasst Teile mehrerer ungarischer „Komitate“, die alle nach einer Burg benannt waren (Eisenburg, Ödenburg, Wieselburg – alle drei liegen auch heute in Ungarn). Wer als Erster die Bezeichnung „Burgenland“ prägte, die sich schnell durchsetzte – auch das gilt als umstritten.
Dass diese Teile Deutsch-Westungarns bei den Friedensverhandlungen Österreich zugerechnet wurden, hatte gute Gründe: die Bevölkerung war zu einem guten Teil deutschsprachig und die Landwirtschaft sollte die neue Bundeshauptstadt Wien weiterhin mit Lebensmitteln versorgen. Das neue Gebilde hatte aber weder eine Landeshauptstadt (die „logische“ Hauptstadt Ödenburg/Sopron blieb schließlich doch bei Ungarn), noch andere Merkmale einer gemeinsamen Identität, kein Wappen, keine Flagge, keine Hymne. All das wurde in den ersten Jahren entwickelt. Dass sich das damals unbedeutende Eisenstadt als Hauptstadt durchsetzte, führte bei vielen zu Unmut.
Das von Nord nach Süd langgezogene Gebiet ist eines der kleinsten österreichischen Bundesländer. Zwar ist die Fläche um die Hälfte größer als Vorarlberg, aber die Einwohnerzahl ist um ein Viertel kleiner, nämlich knapp 300.000. Für diesen relativ kleinen Landstrich ist die Vielfalt der Menschen und Kulturen verblüffend. Neben der dominanten deutschsprachigen Bevölkerung sind die Volksgruppen der Burgenlandkroaten, Ungarn und Roma & Sinti beheimatet. Die zahlreichen jüdischen Burgenländer/innen wurden zum Großteil während des Nationalsozialismus getötet oder vertrieben, auch die meisten Roma und Sinti wurden getötet. Auch danach gab es nicht nur Freundlichkeiten zwischen den Volksgruppen, viele Menschen fühlen sich nach wie vor marginalisiert. So heftige politische Gefechte etwa wegen zweisprachiger Ortstafeln wie in Kärnten gab es im Burgenland allerdings nie, es ist eher ein unaufgeregtes Miteinander, manchmal Nebeneinander. Ein erschütterndes Ereignis war der Mord an vier jungen Roma durch den Bombenattentäter Franz Fuchs in Oberwart 1995. Dieser brachte die Ausgrenzung der Volksgruppe erst richtig ins Bewusstsein und regte zeitverzögert eine konstruktive Auseinandersetzung damit an.
Wie in anderen Ländern auch finden sich im Burgenland sowohl Menschenhass als auch Menschenliebe. Das Massaker von Rechnitz war ein Beispiel für Hass, durch den 1945 198 bereits völlig entkräftete Juden von feiernden Nationalsozialisten per Genickschuss ermordet und in Massengräbern verscharrt wurden. Die Brücke von Andau gilt als Symbol der Menschenliebe: Zigtausende Ungarn flohen im Jahr 1956 vor den sowjetischen Truppen über die kleine Holzbrücke nach Österreich, während die Andauer/innen ihren Ort mit US-Unterstützung in ein „Erstaufnahmezentrum“ verwandelten. „Die Schulen, der Kindergarten, das Kino und alle öffentlichen Räume wurden für die Unterbringung der Flüchtlinge bereitgestellt“, heißt es in der Ortschronik.
Das Leben am Eisernen Vorhang, der undurchdringbaren Grenze zwischen dem „Ostblock“ und Westeuropa, prägte das Burgenland bis 1989. Dafür gingen dann legendäre Bilder aus dem Burgenland um die Welt, auf denen der damalige Außenminister Alois Mock und sein ungarischer Amtskollege Gyula Horn den Grenzstacheldraht mit Riesenzangen durchtrennten. Das Bild war inszeniert, denn der Stacheldraht war von ungarischen Grenzsoldaten bereits demontiert worden. Es verfehlte aber seine Symbolwirkung nicht und trug dazu bei, dass noch Monate vor dem Fall der Berliner Mauer viele DDR-Bürger/innen aus dem Urlaub in Ungarn nicht mehr nachhause, sondern „in den Westen“ gingen. Die Idee zu den symbolträchtigen Bildern hatte übrigens ein Tiroler, der Pressefotograf Bernhard J. Holzner.
Über das Burgenland zu schreiben ohne zu erwähnen, dass es noch in den 1920er- und 1950er-Jahren riesige Auswanderungswellen gab und die größten „burgenländischen“ Städte Wien und Chicago sind, wäre unmöglich. Heute würde man die Migrant/innen aus dem Burgenland als „Wirtschaftsflüchtlinge“ bezeichnen. Die Armut in dem von der Landwirtschaft geprägten Grenzland war erdrückend, viele sahen zuhause keine Lebensperspektive. Es gibt kaum eine burgenländische Familie, die nicht Auswanderungsgeschichten erzählen kann. Heute ist die Lage unvergleichbar besser. Unter anderem der EU-Beitritt Österreichs brachte der Wirtschaft starken Aufwind. Windig ist es im Land des Weins, des Neusiedler Sees und der Thermalbäder überhaupt oft, aber es freut sich auch über die meisten Sonnenstunden pro Jahr im Vergleich zu den anderen Bundesländern. «
Der heilige Martin von Tours, dessen Gedenken am 11. November in vielen Teilen Europas mit Laternenumzügen begangen wird, ist der burgenländische Landes- und Diözesanpatron. Er wurde in der römischen Provinz Pannonien geboren, zu der auch das Gebiet des heutigen Burgenlands gehörte. Das Diözesanjubiläum „60 Jahre Diözese Eisenstadt“ wurde 2020 von der Corona-Pandemie überschattet, dafür wurden die Feierlichkeiten auf zwei Jahre ausgedehnt. Das Burgenland ist damit eine sehr junge, aber nicht die jüngste Diözese Österreichs – das ist nämlich die Diözese Feldkirch, die erst 2028 60 Jahre alt wird.
Neben den Katholik/innen gibt es viele evangelische Christ/innen, in St. Andrä am Zicksee gibt es seit 2016 sogar ein griechisch-orthodoxes Kloster. Die sehr lebendigen jüdischen Gemeinden wurden zwischen 1938 und 1945 vernichtet. Heute leben auch Muslim/innen, viele andere Religionsbekenntnisse und Weltanschauungen sowie Menschen ohne Bekenntnis im Burgenland.
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