Wort zum Sonntag
Vielleicht hätten die Wiener Katholik:innen gerne für einen Tag mit Linz getauscht. In den Linzer Dom passen nämlich bis zu 17 000 Menschen. Das Abschiedsfest für Kardinal Christoph Schönborn als Erzbischof von Wien wurde jedoch bereits für 4 000 Gäste auf drei Kirchen aufgeteilt: Aus dem Stephansdom wurde der Gottesdienst in die „Mitfeierkirchen“ der Jesuiten und Dominikaner übertragen.
Das Interesse war groß, mit mehr Platz hätten wohl noch viel mehr Menschen an Ort und Stelle mitgefeiert. Wärmer hatten es aber die, die eine der Fernseh- oder Radioübertragungen nützten, denn der 18. Jänner war bei Temperaturen um den Gefrierpunkt und ständigem Wind ungemütlich. Trotz allem kamen zu „Dank und Lobpreis, Segen und Sendung“ sämtliche Diözesanbischöfe Österreichs, Bundespräsident, Bundeskanzler und einige ihrer Vorgänger im Amt, Ministerinnen, Landeshauptleute und prominente Gäste aus Kultur und Zivilgesellschaft.
Das „schlagende Herz der katholischen Kirche in Österreich“ nannte Alexander Van der Bellen den Stephansdom. Dem Bundespräsidenten selbst wurde am Anfang des Gottesdienstes applaudiert – denn das Fest fiel genau auf seinen 81. Geburtstag.
Bundespräsident Van der Bellen wünschte dem scheidenden Erzbischof in Anspielung auf Schönborns Jugend in Vorarlberg und das beliebteste Kartenspiel im Ländle „Zeit zum Jassen“, aber auch Zeit für Konzerte und Literatur.
Rückblickend würdigte er Meilensteine in der Amtszeit Kardinal Christoph Schönborns als Erzbischof von Wien: Die europaweit erste Ombudsstelle für Opfer sexuellen Missbrauchs in der Kirche, die Schönborn bereits ein Jahr nach seinem Amtsantritt 1995 einrichtete. Die – nicht unumstrittene und dennoch innovative – „Klasnic-Kommission“, die sich seit 2010 dem Opferschutz widmete. Den intensiven Kontakt mit den Ostkirchen, das gute menschliche und theologische Verhältnis zum Judentum, den wertschätzenden Austausch mit Muslimen. Die Solidarisierung mit HIV-infizierten Menschen, die Aufnahme von Flüchtlingen: „Wann immer nötig, standen Sie auf der Seite der Schwachen, Ausgegrenzten, der Benachteiligten. Nicht immer zur Freude der politisch Mächtigen“.
Zusammenfassend nannte der Bundespräsident Kardinal Schönborn einen „Mann des Zuhörens, des Dialogs, des Friedens“, einen Brückenbauer, und würdigte ihn mit der Bezeichnung „Pontifex Austriacus“ (österreichischer Papst, wobei „Pontifex“ wörtlich Brückenbauer heißt).
Dass der Wiener Erzbischof nicht nur theologisch und spirituell kompetent ist, sondern im Lauf der Jahre mehr und mehr politisches Gewicht bekommen hat, wurde in seiner Abschiedspredigt deutlich. Wie bereits bei früheren Anlässen erinnerte Kardinal Schönborn daran, dass er selbst als Flüchtlingsbaby nach Österreich gekommen war: „Ich sehe mit Dankbarkeit, wie Jahr für Jahr Menschen – wie ich damals – hier Sicherheit, Arbeit und oft ein neues Leben finden. Sie bringen ihre Sprachen, Kulturen und Religionen mit. Sie bereichern, nicht ohne Spannungen, unser Land und prägen seine Zukunft mit.“
Der nüchterne Blick auf die Demographie Österreichs und Europas müsste klarmachen, dass es in Zukunft nicht anders sein wird. „Das Gelingen des Miteinanders von Eingesessenen und Dazugekommenen ist entscheidend für unsere Zukunft.“ Dass immerhin das Miteinander der Religionen in Österreich so gut funktioniert, führte Schönborn auf die „außerordentlich gute Religionsgesetzgebung“ zurück.
Dass sich auch die verschiedenen Gruppen innerhalb der Kirche als eine Gemeinschaft verstehen, nannte der Kardinal als Anliegen. „Ich habe – vielleicht anders als andere – die Kirche als große Weite erlebt.“
Ein weiteres Anliegen, „nicht zu moralisieren“, dürfte ihm gelungen sein, denn Bundespräsident Van der Bellen meinte über Schönborn: „Er belehrt nicht, aber der Austausch mit ihm bereitet großes Vergnügen.“
Nach dem langen, aber kurzweiligen Gottesdienst mit viel Weihrauch, ausgefallenen Ritualen und Lobpreisliedern warteten auf dem großräumig abgesperrten Stephansplatz heiße und kalte Getränke, Würstel mit Senf und Chili mit oder ohne Fleisch auf die tausenden geladenen Gäste, die die Möglichkeit teilweise auch gleich zum Austausch nutzten. Teilweise flüchteten sie sich schnell vor Wind und Kälte in eine warme Stube. Eine, die ausharrte und sich unterhielt, war die ehemalige Katholikin und jetzige Direktorin der evangelischen Diakonie, Maria Katharina Moser. „Ich schätze besonders“, sagt sie im Gespräch, „was auch heute in der Predigt deutlich geworden ist: die klaren Worte des Kardinals für Menschen auf der Flucht. Wir teilen das Anliegen, wie überhaupt die Unterstützung für Menschen in sozial schwierigen Situationen.“
In einer 30-jährigen Amtszeit kann aber nicht alles gelingen. Das ist auch Kardinal Christoph Schönborn klar, der gerade noch drinnen in seiner Bischofskirche selbstkritisch anmerkte: „Wie sieht eine ehrliche Bilanz meiner drei Jahrzehnte des Dienstes aus? So schnell, wie die katholische Kirche bei uns schrumpft ...“
Dass sich trotzdem zwei Drittel der Menschen in Österreich wünschen, dass Österreich ein christliches Land bleibt, bezeichnet der Erzbischof als „seltsam“ und fragt sich: „Bleibt vom Christentum eine gewisse Folklore? Wird das Europa der Kathedralen ein großes Freilichtmuseum für Touristen aller Welt?“ Die Frage ist nicht einfach zu beantworten, die Verantwortung für den Wandel allerdings nicht allein bei einem Bischof zu suchen.
Unterm Strich bleibt manches für die Zukunft offen. Etwa die Strukturreform, die die Erzdiözese Wien im Jahr 2008 begonnen und nicht abgeschlossen hat. Andere Baustellen konnten hingegen zufriedenstellend geschlossen werden. Helmut Schüller, Pfarrer von Probstdorf und österreichweit bekannt als Generalvikar, der vom Wiener Erzbischof im Jahr 1999 mittels Brief auf der Fußmatte entlassen wurde, feiert das Dankfest für Kardinal Schönborn fröhlich mit. „Wir haben uns längst wieder zusammengefunden“, sagt er. Es sei damals eben eine schwierige Situation gewesen. „Die Art der Trennung war nicht glücklich, aber das ist alles bereinigt. Wir haben eine gute Gesprächsbasis, kommunizieren und blödeln sogar miteinander.“ So wünscht Schüller seinem Erzbischof von Herzen „endlich ein wenig Ruhe im Ruhestand“.
Bei so einem Fest ist natürlich noch keine Ruhe zu erwarten. Unermüdlich verabschiedet sich der Kardinal von allen, die in einer Schlange auf einen voraussichtlich letzten Handschlag mit dem noch amtierenden Erzbischof warten. Vor der Kälte schützt den 80-Jährigen ein Glaspavillon. In der luftigen Kälte des Stephansplatzes schüttelt der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig auch noch viele Hände. Auch er ist Kardinal Schönborn dankbar für seinen sozialen Einsatz sowie für seine Sorge für den Religionsfrieden. „Wir hoffen, dass der Papst eine Entscheidung treffen wird, die an diese Leistungen anschließen kann. Dass wir wieder einen Erzbischof bekommen, der in vergleichbarer Weise für die Menschen in unserem Land und darüber hinaus tätig sein kann.“
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