Wort zum Sonntag
Abuna Stephan, wie sind Sie auf die Idee gekommen, diesen Gebets- und Fürbittdienst anzubieten?
Stephan Wahl: In unseren Gottesdiensten im Paulus-Haus gibt es immer die Möglichkeit, Fürbitten frei zu formulieren. Da jetzt keine Gottesdienste mehr stattfinden können und mir der Brauch der Juden immer gefallen hat, Gebete und Bitten auf Zettel zu schreiben und zur Westmauer – besser bekannt als „Klagemauer“– zu bringen, fand ich es naheliegend, Bitten, die mir geschickt wurden, in unser christliches Zentrum in Jerusalem zu bringen: an den Ort des Todes und der Auferstehung Jesu, in die Grabeskirche.
Wie gehen Sie konkret vor?
Wahl: Über E-Mail oder auf anderen Wegen bekomme ich Bitten und Gebete zugeschickt. Ich drucke jedes Schreiben einzeln aus und bringe es in die Grabeskirche beziehungsweise jetzt, da die Kirche geschlossen ist, auf das nach wie vor zugängliche Dach der Grabeskirche. Das ist das Gebiet der äthiopisch-orthodoxen Mönche, die sich an meinen täglichen Besuch gewöhnt haben und mich – mit Abstand natürlich – freundlich grüßen. Dort am Dach lese ich die Bitten oder bete stellvertretend die gesandten Gebete. Jeder, der mir etwas geschickt hat, bekommt eine kurze Bestätigung, dass sein Anliegen heute zur Grabeskirche getragen wurde. Danach bewahre ich die Blätter auf, um sie später würdig auflösen zu können – ähnlich wie die Zettel der Westmauer, die in bestimmten Abständen auch entnommen und am Ölberg begraben werden.
Wie verbringen Sie Ihre Tage und Zeit, wenn das Pilgerhaus leer ist?
Wahl: Ich versuche mir ein festes Tagesprogramm zu geben, das aus einer bunten Mischung von liegen gebliebener Büro- und Archivarbeit und Beantworten von E-Mails besteht. An einem neuen Buch schreibe ich zur Zeit auch und bereite mein neues wöchentliches „Wort aus Jerusalem“ auf Youtube vor (https://t1p.de/youtube-stephanwahl), ich poste Gedanken auf Facebook und Instagramm und helfe den beiden verbliebenen Mitarbeiterinnen und dem Hausmeister. So bin ich jetzt für die Blumen im Haus, für die Beflanzung der Terrasse und für den Garten zuständig.
Kommt da nicht ein wenig Heimweh auf?
Wahl: Ja, eigentlich zum ersten Mal. Zuhause fühle mich aber doch hier in Jerusalem und bis jetzt hatte ich auch nicht das Gefühl großer trennender Distanz zu meiner Heimat Deutschland. Jeden Tag gingen Flüge, das ist jetzt anders. Wenn es nötig wäre, käme ich jetzt nicht so schnell hier weg. Das ist kein gutes Gefühl. Aber es ist schön, über verschiedene Kommunikationswege mit der Familie und Freunden Kontakt zu halten. Mit meiner 84-jährigen Mutter habe ich zum Beispiel regelmäßige Facetime-Termine.
Wie werden Sie die Kartage und Ostern feiern?
Wahl: Wie viele andere auch. Zuhause und auf sehr kontemplative Weise. Aber Ostern findet statt. Das Osterhalleluja kommt nicht in Quarantäne.
Haben Sie einen Zeithorizont?
Wahl: Zeitprognose habe ich keine, Hoffnung schon. E-Mails beschließe ich jetzt wie üblich meist mit „Bleiben Sie gesund“, füge aber hinzu „und munter und ein bisschen lebenskeck!“
Abuna Stephan trägt gerne auch Ihre Anliegen zur Grabeskirche in Jerusalem. Seine Adresse: jerusalemgebet@gmail.com
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