Das KZ Gusen galt als die „Hölle der Höllen“. Aber auch dort wurde Weihnachten begangen. Am Appellplatz als Perversion und im Geheimen: Der Häftling P. Jacques konnte am 24. Dezember 1944 die Mette feiern. Es war der bewegendste Gottesdienst ihres Lebens, berichten Überlebende.
Eine perversere Situation kann man sich nicht vorstellen. Es ist der frühe Abend des 24. Dezember. Tausende ausgemergelte Gestalten stehen mit dünnen Lumpen bekleidet in der Eiseskälte am Appellplatz von Gusen und müssen Weihnachtslieder singen – für ihre Peiniger. Die SS-Leute haben sogar ihre Kappen abgenommen und lauschen den deutschen und polnischen Gesängen. Er hat in 25 Monaten Gusen viel erlebt, was unfassbar ist, meint der Häftling Louis Deblé: Diese Weihnachtsfeier ragt aus dem Unvorstellbaren heraus. Ein großer Christbaum steht genau dort, wo normalerweise der mobile Galgen aufgestellt wurde.
Der „Pfarrer von Gusen“. Es gab im Lager 1944 aber auch ein anderes Weihnachten. Der „Pfarrer von Gusen“, wie die Mithäftlinge P. Jacques nannten, hatte an diesem 24. Dezember alle Hände voll zu tun. Offensichtlich wurde nur bis Mittag gearbeitet, da die zivilen Vorarbeiter, die Kapos und die SS-Mannschaft nach Hause gingen oder auch Ruhe haben wollten. Das gab die Möglichkeit, sich innerhalb des Lagers ein wenig ungefährdeter als sonst zu bewegen. Unentwegt suchten Häftlinge P. Jacques auf, um bei ihm zu beichten, er ging zu mehreren Gruppen von Polen, um kurze Andachten zu halten. Auch den 400 Kindern des Lagers, für die man einen Christbaum organisieren konnte, stattete er einen Besuch ab und schließlich führte ihn sein Weg an diesem Abend auch zu den Kranken, den Todgeweihten.
Ein Kelch aus Waffenstahl. Um 20 Uhr begann dann in Block 18 die Christmette. Zwischen den Pritschen standen überall Häftlinge – Menschen aus 15 Nationen sangen in ihrer Muttersprache. Zur Wandlung kniete P. Jacques in seiner Häftlingskleidung vor seinem Bett, auf dem Bett standen Kelch und Patene. Ein Gefangener hatte die Gefäße aus dem Stahl von Gewehrläufen angefertigt, den Wein hatten Zivilarbeiter besorgt. Die Hostien kamen von einem polnischen Seminaristen, der sie seit 1940 bei sich getragen haben soll. Der Mithäftling Gaston Passagez stand während des Gottesdienstes ganz nahe bei P. Jacques: „Nie haben meine Augen so eine Konzentration gesehen, so eine Innerlichkeit – ich war zu Tränen gerührt.“ An diesem Ort der Unmenschlichkeit wird die Menschwerdung Gottes gefeiert. Nach der Mette umarmten die Häftlinge einander. „Ich werde mich an diesen Abend ein Leben lang erinnern“, bezeugt ein polnischer Gottesdienstteilnehmer. P. Jacques verstarb kurz nach der Befreiung des Lagers bei den Elisabethinen in Linz.
Den „Christbaum von Gusen“ zeichnete 1945 der Häftling Bernard Aldebert aus der Erinnerung nach der Befreiung. 1944/45 war ein sehr strenger Winter. Man verzeichnete um die Weihnachtszeit Temperaturen von minus 20 Grad.
Dank an Rudolf A. Haunschmied vom Gusen Memorial Committee für die Informationen zu diesem Artikel.