Medizin begleitet uns ein Leben lang. Schon während der Schwangerschaft werden Mutter und Kind regelmäßig untersucht. Doch sind die gesammelten Daten für Ärzt/innen und Eltern immer ein Gewinn? Darüber diskutierten drei Wissenschafter aus Medizin und Philosophie.
Ausgabe: 2017/01
03.01.2017 - Christine Grüll
Das Kind hatte keine Bauchdecke. Es musste sofort nach der Geburt operiert werden. Die Mutter und die Geburtshelfer/innen wussten schon vorher von der nötigen Operation – dank der Untersuchungen während der Schwangerschaft. „Die Tests werden durchgeführt, um die Geburt für ein Baby optimal vorbereiten zu können“, sagt Peter Oppelt. Der Vorstand des Kepler-Universitätsklinikums für Gynäkologie in Linz untersucht Frauen ab der zehnten Schwangerschaftswoche. Im Rahmen der Mutter-Kind-Pass-Untersuchungen werden die Föten von Kopf bis Fuß vermessen. In den meisten Fällen ist alles in Ordnung. Doch was ist, wenn das Kind eine körperliche oder geistige Behinderung hat oder nicht lebensfähig ist?
Die Frage nach dem Lebensrecht
Die Untersuchungen vor und während einer Schwangerschaft und die Konsequenzen für Eltern und Mediziner/innen waren Thema einer Diskussion an der Johannes Kepler Universität. Dabei ging es nicht nur um medizinische Möglichkeiten, es wurden auch ethische Fragen gestellt. Im Fall der schweren Behinderung eines Kindes sollten Ärztinnen und Ärzte die richtigen Worte finden, um mit den Eltern die weitere Vorgehensweise zu besprechen: Wollen sie das Kind mit seiner Behinderung annehmen oder wollen sie sich – je nach Grad der Behinderung – für die Abtreibung, also bewusst für die Tötung des Kindes entscheiden? Oder entscheidet sich die Mutter dafür, das Kind bis zur Geburt auch mit dem Wissen auszutragen, dass es nicht lebensfähig ist? „Letztlich liegt die Verantwortung bei den Eltern, die sich der moralischen Frage stellen müssen: Wie schätze ich das Lebensrecht des Kindes ein?“, sagt der Philosophie-Professor Michael Fuchs von der Katholischen Privatuniversität Linz.
Professionelle Gesprächssituation
Damit die Eltern zu einer Entscheidung gelangen, mit der sie auch später in Frieden leben können, ist eine professionelle Gesprächssituation notwendig. Doch gerade hier gibt es in Österreich noch großen Bedarf: Es ist nach wie vor nicht selbstverständlich, dass Psycholog/innen in die Gespräche eingebunden sind. Manche Eltern, die ohne ausreichende Vorbereitung plötzlich vor dem Befund stehen, dass ihr Kind eine Behinderung hat, hätten den Test im Nachhinein lieber nicht gemacht, berichtet Hans-Christoph Duba, der das Institut für Medizinische Genetik am Kepler-Universitätsklinikum leitet.
Eine Form der Selektion
„Das frühzeitige Wissen von etwas, das man nicht abändern kann, ist nicht immer ein Gewinn“, meint Michael Fuchs. Grundsätzlich aber stimmt er mit den beiden Medizinern überein: Für Paare mit erkennbarem Risiko beziehungsweise mit einer Risikoschwangerschaft ist Gewissheit ein Gewinn. Doch nicht jede Frau hat die Möglichkeit, Gewissheit zu erlangen, und das hat finanzielle Gründe. Manche Untersuchungen sind nur für Frauen über 35 Jahren kostenlos. „Eine 23-Jährige mit wenig Einkommen kann sich zum Beispiel die kostenpflichtigen Tests nicht leisten“, sagt Peter Oppelt, „diese Form der Selektion ist ein gesellschaftspolitisches Problem.“