Durch Krisen persönlich wachsen und gemeinsam reifen
Ausgabe: 2000/04, Jürg Willi
25.01.2000 - Maria Haunschmidt
Versäume im Leben die Liebe nicht! Es gibt nichts Schöneres als eine Ehe, die durch Liebe zusammengehalten wird. Allfällige Krisen gehören zu einer Beziehung dazu.
Sie sind eine Chance zur Entwicklung und Reifung. Ehe wird heute weitgehend bewusster gelebt, die Qualität der Paarbeziehung hat sich verbessert. So analysierte der bekannte Schweizer Paartherapeut und Facharzt für Psychiatrie Prof. Dr. Jürg Willi bei der beliebten Vortragsreihe „Beziehungsfallen“ in Linz „Die Herausforderung persönlicher Entwicklung durch Liebesbeziehungen“. Herausgefordert sind die Partner als eigenständige Persönlichkeiten heute allemal, denn so klar und einfach, wie es früher einmal war, ist heute nichts mehr: Damit Beziehung gelingt, ist viel Eigenverantwortung und Engagement gefragt. „Jeder ist seines Glückes Schmied“, so der Referent. Leitbilder haben sich stark verändert. Prof. Willi zeigte den gesellschaftlichen Wandel der Geschlechter und der Beziehungsstrukturen an Hand der Titelbilder einer Illustrierten. Dem hergebrachten Rollenverständnis folgte in den sechziger Jahren die sexuelle Revolution und dann die Welle der Selbstverwirklichung und Emanzipation, die von den Frauen mehr Eigenverantwortung und von den Männern mehr Beziehungsarbeit fordert/e. Obwohl die Institution Ehe labiler und störungsanfälliger wurde, ist sie kein Auslaufmodell. Im Gegenteil! Eine intensive Partnerschaft gilt als Wunschziel. Das christliche Ehesakrament sieht der Paartherapeut zur Festigung und spirituellen Vertiefung der Partnerschaft als einen hohen Wert.
Kleine heile Welt
Dass Ehen trotz steigender Scheidungszahlen im Trend liegen, hat seine Hauptursache darin, dass die Menschen eine kleine heile und beständige Welt suchen, eine gemeinsame BeHAUSung, in der sie sich wohl fühlen und jemanden haben, der mit ihnen teilt und auch zuhört, selbst wenn – hier sorgte der Referent für Heiterkeit – „man aus Erfahrung längst weiß, was der andere sagen wird“. Die Partner möchten eine hohe Übereinstimmung und vorbehaltlose, unbegrenzte Liebe. Die gewünschte totale Verschmelzung lässt sich allerdings nicht durchhalten, Konflikte sind normal und gehören zum Leben dazu. Enttäuschungen sieht Prof. Willi als Chance zur persönlichen Entwicklung und zur gemeinsamen Reifung. Bewältigt man diese Phasen, dann kann eine komplexe Beziehung zweier autonomer Partner entstehen, in der immer wieder „Liebesinseln“ als Glücksmomente den Beziehungsalltag verschönern. Aus der therapeutischen Praxis weiß Prof. Willi: Wie Partner miteinander umgehen, zeichnet sich oft schon in der Verliebtheitsphase ab. Unzulänglichkeiten werden aber häufig verdrängt, holen ein Paar später jedoch ein.
Wenn Ehen scheitern
Etwas mehr als jede dritte Ehe wird wieder geschieden. Nach Erfahrung von Prof. Willi lassen sich Paare allen Unkenrufen zum Trotz aber nicht vorschnell scheiden. Sie überlegen sich einen so schwerwiegenden Schritt fast immer sehr genau. Auch sind erfreulicherweise immer mehr Elternpaare nach einer Scheidung bemüht, wegen der Kinder freundschaftlich miteinander umzugehen.