Was die Militärseelsorge leisten kann, wann militärische Einsätze gerechtfertigt sind und warum Österreich einen eigenen Militärbischof hat, sagt der neu geweihte Militärbischof Werner Freistetter im Interview.
Angesichts der weltweiten Krisen wird manchmal das alte Konzept des „gerechten Kriegs“ erwähnt, wenn es um Militäreinsätze geht. Gibt es einen „gerechten Krieg“? Freistetter: Schon das Zweite Vatikanische Konzil verwendet den Begriff „gerechter Krieg“ nicht. Es spricht von einer „moralisch gerechtfertigten Verteidigung“, wenn es um den Schutz von Menschen und die Durchsetzung von Recht geht – natürlich unter Anwendung strenger Kriterien: Vorrang friedlicher Optionen, Verhältnismäßigkeit der eingesetzten Mittel, Schutz der Zivilbevölkerung und die Suche nach einer politischen Lösung. Das Konzil formuliert als Zugeständnis: „Solange es noch keine zuständige internationale Autorität gibt, die mit entsprechenden Mitteln ausgestattet ist, kann man, wenn alle Möglichkeiten einer friedlichen Regelung erschöpft sind, einer Regierung das Recht auf sittlich erlaubte Verteidigung nicht absprechen.“
Trifft das auch auf die Bedrohung durch den sogenannten „Islamischen Staat“ zu? Ganz sicher. Es gilt für die internationale Gemeinschaft eine Schutzverantwortung für die Menschen in diesen Gebieten.
Trotz Befehl und Gehorsam bleibt der Soldat seinem Gewissen verpflichtet – wie im Extremfall des NS-Regimes Franz Jägerstätter gezeigt hat. Welche Haltung haben Sie als Seelsorger dazu? Zunächst: In der Zweiten Republik gibt es keine mit Jägerstätters Situation vergleichbare Konfliktlage. Im Bundesheer hat der demokratische Gesetzgeber versucht, Raum für das Gewissen zu schaffen. Befehle, die gegen strafrechtliche Bestimmungen oder gegen die Menschenwürde verstoßen, dürfen weder gegeben noch befolgt werden. Dennoch kann es Situationen geben, in denen das Gewissen des Einzelnen gegen eine ganze Organisation steht, auch wenn das hoffentlich nur sehr selten der Fall ist. Das ist anzuerkennen. Denn es ist Recht und Pflicht jedes Menschen, nach seinem Gewissen zu handeln. Es gibt keinen absoluten Gehorsam – weder im militärischen noch im kirchlichen Bereich.
Bei der Flüchtlingstragödie im Mittelmeer haben Marineeinheiten Menschenleben gerettet. Die EU will aber, dass sie (leere) Schlepperboote versenken. Bedeutet das nicht den Wechsel von einer humanitären zu einer militärischen Haltung? Das Versenken von Schiffen ist keine Lösung des Flüchtlingsproblems, sondern der Versuch, die Tätigkeit der Schlepper zu erschweren. Das kann höchstens ein Teil der Bemühung sein, die Gesamtsituation zu lösen. Vor allem muss es darum gehen, in den Herkunftsländern Bedingungen zu schaffen, die es den Menschen ermöglichen, dort zu leben. Bis dahin gilt es, Menschen, die aus Not, Angst und Bedrohung heraus geflohen sind, menschenwürdig aufzunehmen. Ich verstehe nicht, warum keine großzügige gesamteuropäische Lösung machbar sein soll, um die Last, die solche Flüchtlingszahlen darstellen, zu verteilen. Das ist langwierig, teuer, politisch schwer zu vermitteln, aber erforderlich.
Zum 100. Jahrestag des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs wurde die Rolle der damaligen Militärseelsorge kritisch beleuchtet – vor allem fragwürdige Feldpredigten. Welche Rolle spielt die Militärseelsorge heute? Aufgabe der Militärseelsorge ist heute nicht die (religiöse) Legitimation militärischer Einsätze oder die Sicherstellung der Gefechtsbereitschaft der Soldaten. Unser Auftrag ist strikt religiös und darauf gegründet, dass auch im Militär Menschen das Recht haben, ihre Religion auszuüben und von ihrer religiösen Gemeinschaft Unterstützung zu erfahren. Uns geht es um die Begleitung von Menschen. Zwar ist für viele Kommandanten der Dienst des Pfarrers wichtig, weil er die Soldaten betreut, persönliche und berufliche Konflikte abbauen hilft und damit auch die Kommandanten in ihrer Führungsaufgabe unterstützt. Aber wir als Seelsorger haben das nicht vorrangig im Auge. Wir sind kein religiöser Arm der militärischen Führung, sondern dafür da, dass Soldaten ihre Religion auch im Einsatz ausüben und sich bei Fragen und Problemen jederzeit vertraulich an uns wenden können.
Früher haben Diözesanbischöfe die Militärseelsorge mitbetreut – wie das auch heute in Deutschland noch der Fall ist. Seit 1986 gibt es in Österreich einen eigenen Militärbischof. Warum? Der Militärbischof ist seit damals die kirchenrechtlich vorgesehene Institution. Vorher gab es Militärvikare, das waren andere Bischöfe, die diese Funktion stellvertretend für den Papst innehatten. Der dann eingeführte eigene Militärbischof ist die Folge einer Dezen-tralisierung. Damit wollte man der besonderen Situation der Soldaten Rechnung tragen. Der eigene Bischof für die Militärseelsorge ist kirchenrechtlich vorgesehen, solange nicht andere Erwägungen dagegen stehen. In Deutschland hat man sich aus innenpolitischen Gründen für eine alternative Regelung entschieden. In Staaten wie der Tschechischen Republik ist die Zahl der Militärseelsorger zu gering für einen eigenen Bischof.
Die Militärdiözese hat eine Synode durchgeführt, deren Ergebnisse Sie nun umsetzen sollen. Bei Auslandseinsätzen des Heeres soll es nicht immer einfach sein, Priester dafür zu finden ... Sie haben recht, auch wir sind wie die anderen Diözesen vom Priestermangel betroffen. Das wird eine der großen Herausforderungen für die Zukunft. Die Synode hat allerdings deutlich gemacht, dass eine stärkere Präsenz und Nähe der Militärseelsorge gewünscht wird. Große Bedeutung kommt dabei den Laien zu: Wir sagen immer, der erste Seelsorger ist der gläubige Kamerad. Wir brauchen in der katholischen Militärseelsorge aber auch Priester, damit die Soldatinnen und Soldaten Eucharistie feiern können, besonders unter den schwierigen Bedingungen im Einsatz.
Manchmal heißt es, Österreichs Bundesheer werde kaputtgespart. Was ist Ihr Eindruck? Ich kann mir nicht vorstellen, dass Kaputtsparen das Ziel einer Bundesregierung ist. Als Sohn eines Offiziers habe ich kaum eine Zeit erlebt, in der nicht über die Reform des Heeres gesprochen wurde. Was wir erleben, sind Anpassungen an die Aufgaben nach dem Ende des Kalten Kriegs, die sich u. a. aus unserer Mitgliedschaft bei der UNO und der EU ergeben. Das Mitwirken an internationaler Friedenssicherung ist heute genauso wichtig wie die Landesverteidigung. Es geht dabei auch immer noch um die Sicherheit Österreichs.