Seit einem Monat ist die Zahnärztin Dr. Charlotte Herman Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde Linz, deren Zentrum die Synagoge in der Bethlehemstraße ist.
Ausgabe: 2013/19, Charlotte Hermann, Israelitische Kultusgemeinde Linz, Synagoge, Juden
07.05.2013 - Josef Wallner
„Sind wir hier in einer Judenkirche?“, fragt ein Zwölfjähriger seinen Kollegen. Die beiden stehen mit ihrer Schulklasse vor der Synagoge und warten auf Charlotte Herman. Den siebenarmigen Leuchter und das ewige Licht erklären, das vor dem Thoraschrein brennt, den Thoraschrein öffnen und die Bibelrollen zeigen – unzählige Male hat die neue Präsidentin in den vergangenen Jahren Gruppen durch die Synagoge geführt. Ihre Geduld und Klarheit, mit der sie ihren Gästen die Symbole des Raums erschließt und Fragen nach dem jüdischen Leben beantwortet, sind bewundernswert.
In den Synagogenführungen sieht sie eine große Chance, Schüler und Erwachsene ein wenig mit dem vielfach unbekannten Judentum vertraut zu machen. Wann immer es ihr Beruf zulässt, nimmt sich die 54-jährige Zahnärztin dafür Zeit und macht auch an ihrer eigenen Lebensgeschichte deutlich, wie man als Jüdin in Linz lebt. Ihre Mutter betrieb ein Geschäft, das musste am Samstag offen halten. Daher war das vorgeschriebene religiöse Leben gar nicht möglich, erzählt sie. Das hat sie geprägt. Den höchsten Feiertag, den Fasttag Yom Kippur, hält sie, das Passahfest feierte sie und am Freitag Abend zündet sie manchmal Sabbatkerzen an. Regelmäßig zum Sabbatgottesdienst geht sie aber nicht. Herman bezeichnet sich als traditionell und legt Wert auf die Bräuche. Doch nicht auf die koschere Küche. In ihrer Kindheit war es in Linz gar nicht möglich, nach den Speisevorschriften zu leben. Durch den Zuzug von Muslimen ist das nun leichter. Jetzt findet man eine Reihe von Produkten auch ohne Schweinefleisch.
Familiensprache ist Hebräisch
Charlotte Herman hat 1977 in der Hamerlingschule maturiert und wollte dann – „nur weg aus Linz“ – für einige Zeit nach Israel gehen: 14 Jahre sind daraus geworden, sie hat dort Zahnmedizin studiert, geheiratet und drei Kinder geboren, die heute in New York, Israel und Wien leben. Auslöser, nach Linz zurückzukehren, war der Golfkrieg – Saddam Hussein hat Tel Aviv mit Raketen beschossen. Neben den familiären Wurzeln ist aus der Zeit in Israel die Sprache geblieben: In der Familie Herman wird Hebräisch gesprochen.
Gemeinde sollte wachsen
Als Präsidentin kümmert sich Charlotte Hermann um die Organisation der Israelitischen Kultusgemeinde Linz: dass an jedem Freitag und an den Feiertagen ein Vorbeter da ist, der zumeist aus Wien, manchmal auch aus Budapest kommt, dass der Betrieb der Synagoge finanziert wird und dass an den Feiertagen nach den Gottesdiensten die mit diesen Festen verbundenen traditionellen Speisen angeboten werden. Sie würde sich freuen, wenn die Linzer Gemeinde wachsen würde – durch Zuzug oder dass sich jüdische Familien, die bereits in Oberösterreich leben, bei der Kultusgemeinde melden. „Wenn die Gemeinde größer wäre, wäre es einfacher, Konzerte zu veranstalten oder zu Diskussionsrunden zu laden“, betont Herman. Denn das Gespräch liegt ihr sehr am Herzen, auch über die Gemeinde hinaus beim jüdisch-christlichen Komitee und beim runden Tisch, an dem Juden, Christen und Muslime sitzen.