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Pavel Trnka redet, als ginge es um sein Leben. Dem fröhlichen Dolmetscher ist es zu verdanken, dass tschechische und österreichische Journalist/innen die Landesausstellung im nördlichen Mühlviertel und im südlichen Böhmen gemeinsam erleben können.
Die Kopfoperation wurde ohne Narkose durchgeführt, der Patient hat angeblich überlebt: Das Loch im Schädel erzählt davon, dass der menschliche Körper im 18. Jahrhundert zunehmend als „reparierbare" Maschine gesehen wurde. Medizin und Hospitalwesen ist neben der leidvollen Geschichte der Grenzgebiete und der Vertreibung der Sudetendeutschen einer der Schwerpunkte in Bad Leonfelden. Vorbei an haarsträubenden Bildern von der Tätigkeit des Baders oder einem Gekreuzigten, der eine zersetzende Krankheit auf sich genommen hat, führt der Weg durch die kleinen Räume des ehemaligen Bürgerspitals direkt in die Spitalskirche: Sie beherbergt Statuen von Heiligen und Nothelfer/innen, die vor allem bei unheilbaren Krankheiten angerufen wurden. „Der Glaube war immer eine Möglichkeit, parallel zu den Fortschritten mit den Grenzbereichen der Medizin umzugehen", sagt die Historikerin Elisabeth Gruber, die für die Landesausstellung geforscht hat.
Beinahe sakral wirkt die Eingangshalle in der Brauerei in Freistadt. Kessel, die in Betrieb sind, holen das Thema des Bierbrauens anschaulich – und olfaktorisch – in die Ausstellung hinein. Die weltweit einzigartige „Braucommune Freistadt" wurde 1770 von Bürgern der Stadt gegründet. Dementsprechend finden sich neben den aufwändig präsentierten und grenzüberschreitenden Themen Flora, Fauna und Handel auch die „Bierheiligen": Der falsche ist der legendäre König Gambrinus, der das Bierbrauen erfunden haben soll. Der echte ist der heilige Florian, Schutzpatron der Brauer. Die oberösterreichische und südböhmische Küche vereinigt sich in Schweinsbraten, Kraut und Knödel, zu kosten im Brauhaus. Künstlerischer spiegelt sich die Knödelmahlzeit auf einem barocken Gemälde von der Heiligen Familie im zweiten Stock wider.
„Wir zeigen, was noch niemand gesehen hat – weil es nicht zu sehen war", sagt Kurator Radomir Markovic im Regionalmuseum mit einem Augenzwinkern. Im Gebäude des ehemaligen Jesuitengymnasiums am Eingang der Altstadt von Ceský Krumlov sind Projekte zu sehen, die nie verwirklicht wurden. Klein, fein und humorvoll werden die verkehrstechnischen, politischen und kulturellen Pläne präsentiert. Zum Beispiel von Lokalbahnen, die im 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts das Mühlviertel mit Südböhmen verbinden hätten sollen. Das Auto hätte in dieser Region heute wohl ausgedient. Höhepunkt der Ausstellung ist die Idee eines Tunnels, den die CSSR (die ehemalige Tschechoslowakische Sozialistische Republik) 1979 geplant hatte: unterirdisch von Ceské Budejovice bis zur Adria. Ein Spaziergang durch die Altstadt führt zur ehemaligen Synagoge von 1910. Fotografien aus der Zeit von 1890 bis 1940 machen hier bewusst, dass die Region kulturell, geistlich und wirtschaftlich eng miteinander verbunden ist.
Kühl und dunkel wirkt der Dom der Zisterzienserabtei Hohenfurth – bis der Blick auf das prachtvolle Altarbild fällt. Der frühbarocke Hochaltar ist einer der Kunstwerke in der renovierten Klosteranlage, zusammen mit den Schätzen in der Klostergalerie. Mittelalterliche und gotische Werke, kostbares Geschirr und die Faksimiles der Gründungsurkunden des Klosters füllen zwei Räume im zweiten Stock. Prior P. Justin Berka führt persönlich in die Bibliothek mit 70.000 Büchern und deutet auf das Deckengemälde: Die Szene vom Urteil des weisen Königs Salomo leuchtet seit rund 260 Jahren in kräftigen Farben. Doch der Stolz der Mönche befindet sich in einem kargen Raum. Im Oratorium des Geschlechts der Rosenberg leuchtet golden das Zawisch-Kreuz, umgeben von gesichertem Glas (die KiZ wird darüber berichten). Nach 70 Jahren ist das wertvolle Reliquiar mit einem Splitter vom Kreuz Christi wieder öffentlich zu sehen: als Höhepunkt der Landesausstellung.
www.landesausstellung.com
Zawisch-Kreuz: Anmeldung für Gruppen unter Tel. +420/380/74 66 74 bzw. www.landesausstellung.com/ausstellung/vyssi-brod/reservierung.html
„Alte Spuren – neue Wege" lautet der Titel der Landesausstellung. Sie ist bis 3. November geöffnet und wird von zahlreichen Veranstaltungen begleitet. Hier eine winzige Auswahl:
Am Samstag, 4. Mai, um 14 Uhr wird der „Skulpturenweg der Versöhnung" auf dem Gelände Parkplatz Stieranger in der Alten Versteigerungshalle, Am Stieranger 2, eröffnet. Die Künstler/innen Christiane Pott-Schlager, Daniel Isler, Markus Sauermann und Solomon Okpurukhre u.a. haben sich mit der Geschichte der Region auseinandergesetzt.
Info: www.weg-der-versoehnung.at
Der Organist Bernhard Prammer lädt im Rahmen der Landesausstellung jeden Freitag um 12 Uhr zur Mittagsmusik in die Stadtpfarrkirche. Der „Orgelpunkt12" wird von wechselnden Organisten gestaltet, am Freitag, 3. Mai von Dorothea Lusser.
Info: www.orgelpunkt12.atKOMMENTAR_
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