„Bei der Beichte geht es zu oft darum, dass man brav sein soll, um ein guter Christ zu sein“, sagt der Arbeiterpriester Franz Sieder aus Amstetten. Er will dafür mehr Bewusstsein auf soziale Sünden legen. Was versteht er darunter?
Ausgabe: 2017/14
04.04.2017 - Paul Stütz
„Sünden, die Du bei Deiner Osterbeichte beichten solltest.“ Diese ungewöhnliche Aufforderung können Passanten derzeit in einem Schaukasten am Bahnhof in Amstetten lesen. Der mit der Hand geschriebene Beichtspiegel listet sechs Sünden auf. Etwa mit dem Flugzeug öfters als einmal pro Jahr in den Urlaub zu fliegen (Umweltsünde). Oder sich zu weigern, Gewerkschaftsmitglied zu werden (Unsolidarität). Oder sich gegenüber der Politik gleichgültig zu verhalten (Sünde der Gleichgültigkeit).
Anders über Sünden reden
Verfasser des Beichtspiegels ist Franz Sieder, ehemaliger Betriebsseelsorger in der Diözese St. Pölten. Den Schaukasten am Bahnhof bestückt er alle paar Wochen mit neuen gesellschaftspolitischen Botschaften. Rund einen Euro am Tag kostet ihn das. Mit dem aktuellen Aushang will der Arbeiterpriester erreichen, dass über Sünden anders geredet wird. Die von Sieder in den Schaukasten gehängten „sozialen“ Sünden sollen zeigen, dass in der Kirche das Engagement für Mitmenschen und die Umwelt einen großen Stellenwert hat. Christsein beschränke sich eben nicht auf den Besuch des Sonntagsgottesdienstes. „Bei der Beichte geht es zu oft darum, dass man brav sein soll, um ein guter Christ zu sein“, sagt Franz Sieder. „Ja, ich stoße damit manche vor den Kopf. Ich will zum Nachdenken anregen“, gibt er zu. Er sei kein Fundamentalist, der alles verbieten wolle. Doch das „Gewissen darf man nicht ausschalten“.
Tausende sehen seine Botschaften
Dass tatsächlich viele Gläubige seinen Sündenkatalog im Beichtstuhl verwenden, glaubt er nicht. Dafür laufen Tausende Menschen an dem Schaukasten vorbei, manche bleiben stehen und lesen. Er bekomme einige Rückmeldungen, die meisten positiv, meint Sieder. Die FPÖ wettert regelmäßig in ihren Zeitungen gegen Sieder. Nach einer Stellungnahme im Schaukasten gegen ein möglicherweise ausländerfeindliches Staatsoberhaupt trafen zudem anonyme Briefe bei Franz Sieder ein.
„Nicht der untertänige Typ“
Der Priester kann mit Kritik gut leben. „Ich halte das aus. Ich bin nicht der untertänige Typ“, sagt er. Und außerdem: „Ein Christ soll politisch sein. Deshalb greife ich auch in meinen Predigten politische Themen auf. Der Einsatz für Gerechtigkeit, Freiheit und Solidarität lässt sich ohne Politik nicht verwirklichen“, meint Franz Sieder, der bei Pax Christi, Amnesty und der Arbeitsgemeinschaft Christen und Sozialdemokratie engagiert ist. Er ist nicht Mitglied der Sozialdemokratie, verleugnet sein Naheverhältnis zu den Roten aber nicht. Sieder: „Wenn links sein heißt, auf Seite der Schwachen der Gesellschaft zu stehen und sich einzusetzen für ein Mehr an Gerechtigkeit, dann kann christliche Politik nur linke Politik sein.“ Franz Sieder, der aus einer Arbeiterfamilie kommt und die Fabriksarbeit aus eigener Erfahrung kennt, ist die Versöhnung zwischen Kirche und Arbeiterschaft ein großes Anliegen. «