Die Kleidung eines Menschen hinterlässt einen gewissen Eindruck. Ein Mann im Trachtenanzug wirkt anders als in löchrigen Jeans. Ein rotes Kleid weckt ein anderes Bild von seiner Trägerin als ein bauchfreies T-Shirt. Doch manchmal trügt der Schein. Ein "Unter uns" von KiZ-Redakteurin Christine Grüll.
Ausgabe: 13/2017
28.03.2017 - Christine Grüll
Zwei junge Männer stehen beisammen und unterhalten sich. Der eine wirkt adrett und irgendwie brav. Das Hemd ist in die beige Hose gesteckt, das Haar ordentlich gescheitelt. Der andere wirkt wesentlich rebellischer: Der Kapuzenpulli hängt weit über die Oberschenkel, der Hosenboden noch weiter nach unten. Ein Ohrring und eine goldene Kette vervollständigen das modische Outfit.
Ein Satz dringt an mein ungewollt lauschendes Ohr: „Aber da, in der Bibel, da kommen schon ziemlich brutale Szenen vor.“ Die Antwort folgt prompt: „Ja, aber das darf man nicht so wörtlich nehmen. So wie im Koran. Den darf man auch nicht so wörtlich nehmen. Das hängt mit der damaligen Zeit zusammen, als die Bibel geschrieben wurde“, sagt der Mann mit der Goldkette. Er tritt die Zigarette aus und beide steigen in die Straßenbahn ein. Verdutzt bleibe ich zurück. Bibelleser hab’ ich mir immer anders vorgestellt!