Könnte es sein, dass der Feinsinn verloren gegangen ist, weil man sich eine neue Skala des Empfindens zurechtgelegt hat? Leitartikel von Matthäus Fellinger.
Ausgabe: 2017/12
21.03.2017 - René Jo. Laglstorfer
„Bei hohen Beträgen rechne ich immer noch um“, gesteht jemand. Ich tue es auch. 99 Euro nur. Das war viel mehr als ein Tausender, als es den Schilling noch gab. Es war ziemlich viel Geld. Und wer hätte sich ein Wurstweckerl um 30 oder gar 50 Schilling kaufen wollen? Das Gespür für den Wert des Geldes hat sich um eine Kommastelle verschoben – in den gröberen Bereich.
Könnte es in anderen Belangen auch passiert sein, dass der Feinsinn verloren gegangen ist, weil man sich eine neuen Skala des Empfindens zurechtgelegt hat?
Es ist zu viel in den Bereich des Vernachlässigbaren gerückt, dem man keine Beachtung mehr schenkt. Wo man sich nur mehr am Großen und Ganzen orientiert, geht die Wertschätzung des Kleinen verloren – und dann gerät das Ganze erst recht in Gefahr. Fastenzeit ist. Zeit also, umzurechnen auf ein sehr feinskaliertes Maß des Empfindens – und es geht nicht bloß um Geld. Feingefühl braucht es. Menschen lassen sich nicht einfach auf- und abrunden, wie man es mit nicht nenneswerten Beträgen tut. Wo im Menschlichen grobgerechnet wird, geht genau dieses Menschliche verloren. Eigentlich gilt das bei allen Gaben der Schöpfung.
Jedes Kind, jeder Mensch auf der Flucht, jede Frau, jeder Mann. Leben, vor allem das menschliche, ereignet sich immer im Einzelfall – und wird groß, wenn es Beachtung und Liebe findet im Ganzen.