Landeshauptmann Josef Pühringer übergibt nach 22 Jahren am 6. April 2017 sein Amt an seinen Nachfolger. Ein Gespräch über Erfolge und Niederlagen, gefährliche Zeiten und die Sorge um die Kirche.
Ausgabe: 2017/11
14.03.2017 - Matthäus Fellinger, Christine Grüll
Herr Landeshauptmann, Sie stehen drei Wochen vor der Amtsübergabe: Was haben Sie als Landeshauptmann noch vor? Dr. Josef Pühringer: Die letzten Tage sind ausgefüllt mit dem Abschließen von Projekten, mit den Übergabegesprächen, mit den Einladungen, zum Beispiel von der Regierung in Bayern. Natürlich auch mit dem Zusammenräumen. An Arbeit mangelt es nicht, aber es ist deutlich lockerer. Vor allem braucht man keine großen Entscheidungen mehr treffen.
Haben Sie nach 22 Jahren Intensivpolitik das Gefühl, persönlich etwas versäumt zu haben? Pühringer: Ich habe mich freiwillig und gerne für die Politik entschieden. Natürlich bleibt manches auf der Strecke. Aber wer es sich selbst aussucht, der soll darüber nicht klagen. Ich bin dankbar, dass meine Familie das mitgetragen hat. Meine Tochter war bei meiner Angelobung als Landeshauptmann vier Jahre alt, mein Sohn zweieinhalb, der zweite Sohn war noch gar nicht auf der Welt.
1992 wurde der Begriff der „Politikverdrossenheit“ zum Wort des Jahres gewählt. Ihre ganze Amtszeit fällt in diese Phase. Waren Sie selbst gelegentlich politikverdrossen? Pühringer: Das war ich nicht, aber es gibt natürlich ein Auf und Ab. Es gibt Sternstunden, aber auch solche, die man in Memoiren – die ich nie schreiben werde – nicht als Sternstunden verzeichnen würde. Mit dem muss man leben. Aber unterm Strich ziehe ich eine gute Bilanz. Ich war gerne Politiker.
Sie haben große Erfolge erlebt und Niederlagen. In Ihre Zeit sind traurige Ereignisse gefallen, etwa die Kaprun-Katastrophe 2000 mit 32 Todesopfern aus Wels, zwei Hochwasser. Was hinterlässt menschlich die tiefsten Spuren? Pühringer: Zwei Riesenhochwasser sind große Katastrophen. Die gehen einem natürlich zu Herzen. Auch Politiker sind Menschen, auch wenn das manche nicht so sehen. Bei den Erfolgen muss man differenzieren. Für mich hat es viele Erfolge gegeben, wenn jemand mein Büro mit mehr Hoffnung verlässt, als er hereingekommen ist. Auf der anderen Seite sind es natürlich große Erfolge, wenn du für dein Bundesland entweder von Wien etwas heimbringst oder große Projekte realisieren kannst. Das war zuletzt die Medizinfakultät mit dem Universitätsklinikum, das Musiktheater, die ganze Infrastuktur in Oberösterreich. Es war nicht einfach, wenn ich an das Kraftwerk Lambach oder die Pyhrnautobahn denke. Da wird wahr, was Max Weber gesagt hat: Politik ist das Bohren harter Bretter, mit Verantwortung, Leidenschaft und Augenmaß. Diese drei Dinge brauchst du, um ein vernünftiger Politiker zu sein. Neben den großen Projekten war mir der Arbeitsmarkt immer ganz wichtig. Dass Oberösterreich in den 22 Jahren in 90 % der Jahre das Land mit der geringsten Arbeitslosigkeit war, betrachte ich als den größten Erfolg. Gab es den umgekehrten Fall, dass die Menschen nicht nur hoffnungsvoller aus Ihrem Büro gegangen sind, sondern einen hoffnungsvollen Landeshauptmann zurückgelassen haben? Pühringer: Selbstverständlich. Oft sagt dir ein ganz einfacher Mensch im Lauf eines viertelstündigen Gesprächs Dinge, die dich stärken. Wer darauf wartet, dass die Eingebung von den Mächtigen kommt, der irrt sich. Etwas vom Lehrreichsten, aber auch Schönsten, ist in diesem Geschäft der ständige Austausch mit den Menschen. Letztlich lebt diese Funktion davon, dass man wirklich unter den Menschen ist. Der Ausdruck „Landesvater“ ist gar nicht so falsch. Ich benütze ihn jetzt weniger, weil ich schon an der Schwelle zum „Landesgroßvater“ bin und weil ich es Josef Ratzenböck nicht antun will, dass er der „Landesurgroßvater“ wird. Der Ausdruck „Landeskaiser“ ist prinzipiell falsch, weil man seine Macht aus der demokratischen Legitimität hat. Wer heute wie ein Kaiser auftritt, der ist bald abgesetzt.
Manche fühlen sich an die Dreißigerjahre des 20. Jahrhunderts erinnert. Leben wir in einer politisch gefährlicheren Zeit als zuletzt?
Wer die guten alten Zeiten verherrlicht, dem muss man sagen, dass es damals den Menschen viel schlechter gegangen ist. Dass es in Zeiten wie diesen Ängste gibt, muss man sehr ernst nehmen, sonst leistet man radikaleren Kräften Vorschub. Die ganze Flüchtlingsbewegung, hier meine ich insbesondere das Überschreiten von Landesgrenzen ohne Prüfung der Identität, hat Menschen Angst gemacht. Das sind nicht lauter Rechtsradikale oder Ausländerfeinde. Wir haben eine Tendenz gegen die Europäische Union – zum einen berechtigt. Wir haben zu viel Zentralismus, zu viel Bürokratie. Zum anderen muss man dagegenhalten: Die EU darf nicht Sündenbock für alles werden. Meine Sorge ist die, dass sich die politische Mitte zu wenig deutlich profiliert. Ich kann für die Zukunft nur sagen: Rechts und links sind noch nie Probleme gelöst worden, sondern nur in der Mitte. Das ist der Ort der Vernunft in der Politik. Die Mitte gehört ordentlich mit Inhalten und mit Persönlichkeiten besetzt. Eine Politik, die die Familie als Grundbaustein der Gesellschaft sieht, die einen vernünftigen Leistungsgedanken hat, die die ökosoziale Marktwirtschaft so herunterbricht, dass sie die Bürger auch verstehen, so eine Mitte ist mehrheitsfähig.
Menschen geraten immer wieder an den Rand, Die Mindestsicherung wurde zum Streitthema. Ist eine stark sozial orientierte Politik nicht mehr mehrheitsfähig? Pühringer: Es ist immer die Gratwanderung zu bestehen: Sind im sozialen Netz jene, die hineingehören, oder sind da Leute, die sich dort wohler fühlen als in der Tagesauseinandersetzung am Arbeitsplatz? Für mich ist klar, bei allem Bekenntnis zu einem starken sozialen Netz muss eine Differenz bestehen zwischen jenen, die ihr Einkommen aus 40 Stunden Arbeit pro Woche erzielen, und jenen, die es ausschließlich aus sozialen Transfers erzielen. Wenn diese Differenzierung nicht gegeben ist, dann wird der gesellschaftliche Zusammenhalt nicht funktionieren, weil die Leute das nicht verstehen. Clemens Sedmak schreibt in seinem letzten Buch sehr deutlich: Barmherzigkeit und Klugheit gehören zusammen. Eine Politik ohne Erbarmen ist erbärmlich, aber eine Politik ohne Klugheit führt zu gesellschaftlichen Problemen.
Ist eine Wirtschaft unter christlich-sozialen Prinzipien in Zukunft noch konkurrenzfähig? Pühringer: Das glaube ich sehr wohl. Damit Wirtschaft nachhaltig gut funktioniert, brauche ich den vernünftigen Umgang mit Ressourcen, und ich brauche motivierte Mitarbeiter. Wenn ich keine kompetente Mitarbeiterschaft mit einer hohen Identifikation mit dem Unternehmen habe, werde ich die unternehmerischen Erfolge nicht erzielen. In Wahrheit ist der Erfolg immer ein Duo: ein kluger Unternehmer und eine engagierte Mitarbeiterschaft.
Papst Franziskus hat zum kapitalistischen Wirtschaftssystem gesagt: „Diese Wirtschaft tötet.“ Teilen Sie seine Ansicht? Pühringer: Wenn ich von entwicklungspolitischen Reisen heimkomme, gebe ich ihm hundertprozentig Recht. Ich glaube nicht, dass er die ökosoziale Marktwirtschaft gemeint hat und dass er Österreich im Blick gehabt hat. Das heißt nicht, dass es nicht auch bei uns etwas zu verbessern gibt. Aber wenn ich mir das System der Apartheid anschaue oder wie im Kongo, in Guatemala oder Nicaragua die Menschen gnadenlos ausgebeutet werden, hat er mit seiner Diktion „Die Wirtschaft tötet“ hundertprozentig Recht.
Sie haben sich immer als christlicher Politiker bekannt. Was macht Ihnen mehr Sorgen: die Zukunft der Politik oder die Zukunft der Kirchen? Pühringer: Ich habe mein Christsein hoffentlich nicht vor mir hergetragen. Ich mache mir über Innerkirchliches Sorgen. Obwohl ich, solange ich aktiver Politiker bin, keine Aussagen dazu mache, würde ich es Papst Franziskus und der Kirche sehr wünschen, dass er so lange lebt, dass von all dem, was er vernünftig in seinen Reden sagt, noch das eine oder andere realisiert werden kann. Die Frage des Sakramentenzulasses von Geschiedenen und Wiederverheirateten ist ein Thema. Da sind die Gemeinden weiter als die Amtshierarchie. Was mir Sorge bereitet, ist, dass immer mehr auf Distanz zur Kirche gehen und es immer weniger gelingt, die Jugend zu begeistern. Ich würde mich freuen, wenn es in der Ökumene so, wie es in Oberösterreich klappt, Standard werden würde.
Wie würden Sie junge Menschen dazu motivieren, sich politisch zu engagieren? Pühringer: Ich würde ihnen sagen: Überlasst die Zukunft nicht anderen, es ist eure Zukunft. In der Politik gestaltet man nicht irgendwas, sondern die eigene Zukunft. Je jünger, desto länger dauert sie. Lasst euch nicht von jedem Gegenwind verdrießen. Wenn man von etwas überzeugt ist, muss man dafür kämpfen. Das kann auch schwierig sein.
Worauf freuen Sie sich? Pühringer: In Zukunft kann ich tun, was ich mir aussuche. Ich freue mich auf mehr Zeit mit meiner Familie und meinen Freunden. Ich werde mich sicher nicht einsperren und tagelang meditieren. Ich werde mich in der Zivilgesellschaft engagieren, da gibt es genügend Angebote. Nach meinem Rücktritt gehe ich auf Kur in Bad Ischl, um Abstand zu gewinnen. Ich werde sicher nicht in ein Loch fallen.