Mit dem Reisebus machten sich 24 Frauen auf den Weg von Linz nach St. Radegund. Am 4. März wäre Franziska Jägerstätter 104 Jahre alt geworden. Ihre Töchter Rosalia Sigl und Maria Dammer begrüßten die Gästeschar und zeigten ihnen das Haus ihrer Kindheit. Sie erzählten von ihrer Mutter Franziska. Einer gläubigen, mutigen Frau, die trotz vieler Anfeindungen nie verbittert wurde. Ihre Stärke war, verzeihen zu können.
Ausgabe: 10/2017
07.03.2017 - Elisabeth Leitner
Ich freu mich so, dass ihr gekommen seid!, das ist nur eine der Stimmen, mit denen die Reisegruppe aus Linz in St. Radegund begrüßt wird. Gabriele Eder-Cakl vom „Haus der Frau“ in Linz organisierte eine Gedenkfahrt für Franziska Jägerstätter. Heute, am 4. März, ist ihr 104. Geburtstag. Zwei Frauen, ihre Töchter Maria und Rosalia, stehen vor dem Jägerstätterhaus in St. Radegund. Hier haben die zwei Töchter mit ihrer Schwester Aloisia, mit ihrer Mutter Franziska und Tante Resi gelebt. Gelebt und auch vieles durchlebt, erlitten. Die beiden Frauen begrüßen die 24 Gäste. Viele sind zum ersten Mal hier – und vielen ist es wichtig, auch das Andenken an Franziska hochzuhalten.
Besuch aus Linz
Rosalia Sigl beschreibt das Haus: „Hier war die Stube, oben die Schlafzimmer.“ Das Jägerstätter-Haus ist heute ein Museum und gehört der Pfarre. Pfarrmitglieder treffen sich hier auch für Besprechungen. In der Stube werden immer wieder Gäste empfangen. Maria Dammer bittet ins Haus und kredenzt den Frauen zur Begrüßung einen Nussschnaps. Nicht irgendeinen. „Der ist von meiner Mutter und es ist die letzte Flasche, die wir noch haben.“ Mit etwas zittriger Schrift steht auf einer schmucklosen Weinflasche „Nußschnaps“ geschrieben. Auf den Geburtstag von Franziska wird kurz angestoßen, dann beginnen die Töchter zu erzählen.
Unverständnis
In der Stube haben sie gegessen, Karten gespielt und Rosenkranz gebetet. Ein Schweinsbraten mit Knödel zählte zu den Lieblingsgerichten, am Freitag hat es Mehlspeisen gegeben. Über die Zeit nach dem Tod ihres Vaters 1943 wurde nicht so viel geredet: „Die Mutter hat wenig erzählt. Damals. Aber einfach war es für sie und für uns Kinder nicht, aber sie hat immer geschaut, dass sie uns nicht belastet“, erzählen Maria und Rosalia. Franziska war Alleinerzieherin, alleine am Bauernhof. Ihr Vater und Großvater halfen immer wieder aus. Der „Franzl“ fehlte. „Ich kann da schwitzen und du sitzt da oben“, sagte Franziskas Vater einmal, erinnert sich Rosalia Sigl. Im Ort gab es Ablehnung, Unverständnis, Kopfschütteln und auch Ausgrenzung – und dies jahrzehntelang. Die Mädchen haben das zu spüren bekommen. „Bezugsscheine für Essen haben wir oft nicht bekommen“, berichten sie. Dass ihr Vater seine Wehrdienstverweigerung mit dem Tod bezahlt hatte, blieb lange ein Ärgernis.
Gläubig und humorvoll
Franziska hat die Entscheidung ihres Mannes akzeptiert, soweit es ihr möglich war: „Wenn ich nicht zu ihm gehalten hätte, dann hätte er niemanden gehabt“, sagte sie in einem Interview. Sie war es, die seine Entscheidung 70 Jahre lang im Alltag gelebt hatte. Ohne Verbitterung, ohne Hass. Wer sich heute an Franziska Jägerstätter erinnert, beschreibt sie als humorvolle und tiefgläubige Frau. „Sie hat viel gebetet, war gütig und streng. Zu ihren Enkelkindern war sie besonders gütig“, sagen ihre Töchter lachend. Sie hatte einen Blick für das Wesentliche. Sie war voller Lebensmut und tapfer: „Und sie hat allen verzeihen können“, sagt Maria, ihre Tochter, rückblickend. Ihr scharfer Blick, ihre Geradlinigkeit, ihre Stärke im Glauben und ihre Fähigkeit zu verzeihen macht sie heute zum Vorbild für viele Christinnen und Christen.
Franziska Jägerstätter
Franziska Jägerstätter wurde am 4. März 1913 in Hochburg in eine große Bauernfamilie geboren. Franz und Franziska lernten einander in einem Gasthof kennen, sie stellte dort Kegeln auf. Sie heirateten am 9. April 1936 und fuhren auf Hochzeitsreise nach Rom. 1937, 1938 und 1940 wurden die Töchter Rosalia, Maria und Aloisia geboren. Am 2. März 1943 verweigerte Franz aus Glaubensgründen den Dienst mit der Waffe für das Hitlerregime. Am 9. August 1943, zum Zeitpunkt des Todes ihres Mannes, spürte Franziska eine starke Verbindung zu ihm. Nach der Ermordung Jägerstätters warfen ihr manche vor, durch ihre Religiosität mit schuld an der Wehrdienstverweigerung ihres Mannes zu sein. Nach dem Krieg setzte Franziska die Arbeit am Bauernhof mit der Hilfe ihres Vaters und ihrer Schwester fort. 70 Jahre lebte sie unter schwierigen Bedingungen. 2007 wurde Franz im Mariendom Linz seliggesprochen. Wenn Franziska auf ihr großes Leid angesprochen wurde, gab sie mitunter zur Antwort: „Es war ein langer Karfreitag. Aber ich denke, dass ich jetzt schon näher an Ostern bin.“ – Franziska Jägerstätter ist am 16. März 2013 im Kreise ihrer Familie in ihrer Wohnung in St. Radegund verstorben. Heute zählen 14 Enkel, 17 Urenkel und 2 Ururenkel zur Familie Jägerstätter. Franziska Jägerstätter war über 30 Jahre lang Mesnerin an der Pfarrkirche St. Radegund, Lektorin, Kommunionspenderin sowie Leiterin der pfarrlichen Katholischen Frauenbewegung. Vielen ist sie heute ein Vorbild im Glauben und in Gewissensfragen.