Im September beginnt in den Pfarren ein neues Arbeitsjahr. Wenn man sich anschickt, ein neues Wegstück zu gehen, dann tut es gut, sich an das allererste Aufbrechen zu erinnern: Warum haben wir uns überhaupt auf diesen Weg gemacht? Warum tun wir uns das eigentlich an? Wie war das noch, ... damals, als alles begann?
Ausgabe: 2017/39
26.09.2017 - Christoph Niemand
Wenn den ersten Christen solche Fragen gestellt wurden, dann haben sie immer wieder vom „Frühling in Galiläa“ als dem „Anfang des Evangeliums“ (Mk 1,1) erzählt. Damals hatte Jesus begonnen zu verkünden, das Reich Gottes fange nun an, mitten unter uns Menschen erfahrbar zu werden. Arme, Ausgegrenzte und Liegengebliebene fanden im Glauben an diese Botschaft Heilung und Ermutigung. Aber auch „ganz normale Leute“ schlossen sich Jesus an: So viele Menschen wagten einen neuen Anfang und neue Verhaltensmuster, dass die Machthaber anfingen, nervös zu werden … Die Apostelgeschichte (10,37–38) erinnert:
„Ihr wisst, was im ganzen Land der Juden geschehen ist, angefangen in Galiläa, nach der Taufe, die Johannes verkündet hat: wie Gott Jesus von Nazaret gesalbt hat mit dem Heiligen Geist und mit Kraft, wie dieser umherzog, Gutes tat und alle heilte, die in der Gewalt des Teufels waren; denn Gott war mit ihm.“
Jesus wusste in seinem tiefsten Inneren, dass die Welt anders funktionieren kann, als wir es gewöhnt sind. Er sagte, dass Gott jetzt gerade anfängt, eine neue Grundordnung des Zusammenlebens einzurichten: sein Reich, das uns schon ganz nahe – sozusagen „zum Greifen“, „zum Mitmachen“, „zum Ausprobieren“ nahe – gekommen ist. Wenn Menschen diese Botschaft ernst nehmen, machen sie die Erfahrung, dass die Welt tatsächlich schon anders funktioniert. Die widergöttliche Ordnung, in der Menschen einander wie selbstverständlich unterwerfen, ausbeuten und klein machen, hat sich totgelaufen.
Logik der Bergpredigt
Als neue „Verfassung“ der Welt gilt die Logik der Bergpredigt, und die lautet so: Weil Gott eine überfließende Fülle von Chancen und Gaben für alle reichlich verfügbar macht, brauchen wir Königskinder seines Reiches uns nicht mehr vom Prinzip der Konkurrenz um knappe Lebensgüter bestimmen lassen. Nicht der Kampf um die wenigen guten Plätze bestimmt die Welt, sondern die souveräne Mathematik Gottes, in der das Teilen verdoppelt, nicht halbiert wird. Und wir sind auch nicht mehr dazu verdammt, den Regeln der Eskalation von Gewalt zu folgen. Nein, wenn dein Feind dich ins Gesicht schlägt, wage es, ihm auch die andere Wange hinzuhalten. Das hält kein Feind lange durch! Überhaupt dreht sich im Königreich Gottes die Sozialpyramide um: Die Letzten sind plötzlich die Ersten – und den Ersten fällt auch kein Zacken aus der Krone, wenn sie sich in Gottes Namen einmal hinten anstellen. Es ist ja genug für alle da!
Das Senfkorn
Jesus hatte allerdings kein Schlaraffenland verkündet. Er wusste gut, dass die alte Ordnung nicht einfach abgedankt hat. Aber mitten in ihr habe die Gottesherrschaft begonnen, wie ein Senfkorn zu keimen und sich unaufhaltsam auszubreiten. Deshalb ermächtigte Jesus die Menschen in seiner Nachfolge auch dazu, mit der Logik der Bergpredigt zu experimentieren. Sie selber sollten erste Erfahrungen machen, dass das Leben unter Gottes riskanten Gesetzmäßigkeiten tatsächlich funktionieren kann. Und sie sollten diese Erfahrungen weitersagen und weitergeben, wie es bei Matthäus heißt (10, 7–8):
„Geht und verkündet: Das Himmelreich ist nahe. Heilt Kranke, weckt Tote auf, macht Aussätzige rein, treibt Dämonen aus! Umsonst habt ihr empfangen, umsonst sollt ihr geben.“
Das Johannesevangelium erzählt, wie Jesus einmal eine Hochzeit vor der Peinlichkeit bewahrte, dass der Festwein ausgeht. Dieses – eigentlich ziemlich lustige – Wunder einer „geretteten Party“ versteht der Evangelist als eine Erfahrung, wie man sie immer wieder machen kann, wenn man es wagt, das „was er euch sagt“ zu tun. Der Kommentar des Evangelisten Johannes (2,11) dazu lautet in wörtlicher Übersetzung aus dem griechischen Original:
„Diesen Anfang seiner Zeichen setzte Jesus in Kana in Galiläa. So offenbarte er seine Herrlichkeit und seine Jünger glaubten an ihn.“
Heiliges Experiment
So hat das Christentum damals begonnen. Und auch wenn seither bald 2000 Jahre vergangen sind: Für uns Christinnen und Christen geht es immer noch darum, dieses „Frühlingserwachen“ nachzuvollziehen. Das bedeutet, selber die Erfahrung zu machen und für andere Menschen die Erfahrung zu stiften, dass die verblüffende Logik von Gottes Reich tatsächlich in unserer Welt und in unseren Tagen schon – oder: immer noch – funktioniert. Das bleibt aber ein Wagnis, ein „heiliges Experiment“!
Impulse
Überlegen Sie für sich selbst: Wie war das damals eigentlich, als mir Jesu Botschaft wichtig und kostbar wurde? Welche Erfahrungen haben in mir die Überzeugung wachsen lassen, dass seine provozierende Einladung tragfähig ist? Und: Tauschen Sie sich mit anderen darüber aus. Finden sich in Ihren Erfahrungen gemeinsame Merkmale?
• Die Logik der Bergpredigt muss man immer neu ausprobieren. Nur so kann sichtbar werden, dass das Reich Gottes schon angefangen hat: Welche Bereiche meines persönlichen Lebens und welche Tätigkeitsfelder in unserer Pfarre könnten in nächster Zeit zu einem „Experimentallabor des Evangeliums“ erklärt werden?
• „Anfang des Evangeliums“: Wäre das ein geeignetes Motto für das neue Arbeitsjahr in der Pfarre oder für die neue Periode im Pfarrgemeinderat?