Glaube und Theologie bringen die wesentlichen Fragen der Menschheit zur Sprache. Warum nicht auch die unwesentlichen? Nicht nur im ausgehenden Fasching darf man solche Fragen stellen.
Ausgabe: 2017/06
07.02.2017 - Matthäus Fellinger
Gott hat den Überblick. Also müsste es für ihn ein Leichtes gewesen sein, sich den idealen und vielversprechendsten Moment für sein persönliches Erscheinen unter den Menschen auszusuchen. Theologen – jene aus früheren Zeiten zumindest – haben ihm Allwissenheit zugeschrieben, verbunden mit einer Voraussicht, wie es mit dem Lauf der Welt weitergehen würde. Einem Gott, für den sogar die Haare auf den Köpfen der Menschen gezählt sind, wird man diese Voraussicht um die künftig wichtigen Dinge schon zutrauen. Warum nur hat Gott diese im Vergleich zur Erdengeschichte lächerlichen 2000 Jahre nicht noch gewartet für sein leibhaftiges Erscheinen? Mit dem Auto statt mit dem Esel hätte er unterwegs sein können, Verstärkeranlagen hätten ihm das Predigen erleichtert. Per Flugzeug – vielleicht zusammen mit dem Papst – hätte er die wesentlichen Punkte seines Programms gleich in die Hauptstädte der Welt bringen können. Die Evangelisten hätten sich beim Schreiben der Evangelien nicht die Augen ruiniert. Es gab damals kein elektrisches Licht. Kopierer und Druckmaschienen auch nicht. Alles musste mühsam per Hand geschrieben werden, von Facebook und Twitter erst recht nicht zu reden. Millionen von Fans und Followern mit ein paar Tastendrücken! Das wäre doch für die Verbreitung des Evangeliums praktisch gewesen. Und: Jesus hätte sich mit besser ausgebildeten Leuten umgeben können. Mit geschultem Personal statt mit diesen Fischern vom See, die sich doch manchmal recht überfordert zeigten. Auch mit deren Zuverlässigkeit war es nicht immer weit her.
Gott hätte gewartet – da kann man sich sicher sein –, wenn es in seinem vorausschauenden Auge wirklich besser gewesen wäre. Wer Gott Weisheit zutraut, kommt zu diesem Schluss. Er tat es nicht. Und das muss Gründe haben. Möglicherweise hielt er die Sache für derart dringlich, dass sie keinen Aufschub erlaubte. Das wäre eine Erklärung. Oder es haben ihm die Menschen leid getan – und sie hätten Trost und Beistand nötig gehabt. Die Bibel deutet es anders an. Aus Liebe hat er es getan. Ein starkes Motiv. Liebe lässt sich schwer aufhalten, wer wüsste das nicht? Er wollte unter den Menschen sein. Nicht erst später. Damals schon. Trotz der schwierigen Umstände.
Man kann es auch anders sehen: Vielleicht hat sich Gott mit seiner Menschwerdung deshalb so sehr beeilt, weil er in seiner Voraussicht wusste, was kommen würde. Seine frühe Ankunft wäre dann Gottes Kommentar zu unserer heutigen Welt und ihren vermeintlichen Errungenschaften, auf die man so stolz ist. Anders gesagt: Weil Gott zum Beispiel um die Oberflächlicheit wusste, die so charakteristisch für die heutige Zeit ist, hat er eine frühere Zeit bevorzugt. Alles kommt schnell – und ist schnell wieder vorbei. Ein Gerücht im World Wide Web für ein paar Wochen, und schon wieder vergessen. Dass unsere Zeit mit all ihren Möglichkeit vielleicht sogar weniger gottestauglich oder gottesempfänglich ist als jene von damals, hieße das. Was nützt die beste Neuigkeit, wenn sie doch nicht im Herzen landet? Jetzt darf man aber annehmen, dass Gott die heutigen Menschen ebenso liebt wie jene von damals. Vielleicht will er durch sein frühes Erscheinen sagen: Schaltet ab, macht „Facebook“ echt und schaut euch an. Lest in euren wirklichen Gesichtern. Dort findet ihr mich.