Menschen sind Einzelreisende geworden – in die Welt, durch das Leben. Ein Leitartikel von Matthäus Fellinger.
Ausgabe: 2017/39
26.09.2017 - Matthäus Fellinger
Moderne Züge verraten es: Nur wenige Sitzplätze sind so angeordnet, dass man sich gegenübersitzt. Nebeneinander reist man, nicht miteinander. Die Konstrukteure der Züge haben den Zustand der Gesellschaft in eine Sitzordnung gebracht. Menschen sind Einzelreisende geworden – in die Welt, durch das Leben.
Der Verlust der Gemeinsamkeit und des Bewusstseins einer Zusammengehörigkeit, das ist vielleicht der schmerzlichste und folgenreichste Verlust, der sich gegenwärtig ereignet. Staaten, Kirchen, Familien, alle Gemeinschaften sind bedroht, das Schicksal von Planeten zu erleiden, die den Zusammenhalt verloren haben und in Bruchstücken durch das Weltall kreisen.
Da sitzen sie dann in den Zügen, mit dem Stöpsel im Ohr, jede und jeder mit seiner eigenen Musik. An der Art, wie gefeiert wird, merkt man es auch: Da ist man zum Buffet geladen, und jeder nimmt aus einem reichen Angebot nach seinem Geschmack. Kein gemeinsames Mahl mehr, bei dem jeder vom Selben isst.
Der Versuch, in allem auf die Bedürfnisse des Einzelnen einzugehen, führt zum Verlust des Gemeinsamen. Gerade noch dann und wann reicht es für ein schnelles Zusammenfinden, wie die Vögel im Herbst vor der gefährlichen Reise. Ansonsten bleibt jeder für sich. Man braucht einander nicht – und merkt zu spät: Da ist keiner mehr.