Wildesel, Klippdachs und die volle Arche Noah – Scharen von Tieren begegnen einem beim Lesen der Bibel. Die Theologie hat mit dem Vieh weniger Freude. Zu Unrecht, wie der Moraltheologe Michael Rosenberger betont, denn Gott, Mensch und Tier sind Bundesgenossen.
In jedem zweiten österreichischen Haushalt lebt mindestens ein Haustier. Warum diese Liebe zu den Tieren? Rosenberger: Der Mensch hat ein tiefes Bedürfnis nach geglückten Beziehungen und möchte mit allen Geschöpfen in Frieden leben. Dieser Wunsch ist ein Stück Sehnsucht nach dem Paradies.
Was sagen die biblischen „Paradieses-Geschichten“ über die Beziehung zwischen Menschen und Tieren? Wenn man das erste Kapitel des Buches Genesis anschaut, werden die Tiere in einer ganz grundlegenden Ähnlichkeit zum Menschen gesehen. Mensch und Tier haben denselben Lebensraum, über sie wird der gleiche Vermehrungssegen gesprochen, sie haben das gleiche Nahrungsangebot. Weder Mensch noch Tier ist Fleischgenuss erlaubt. Nach der ersten Schöpfungserzählung der Bibel stehen sie in einer schicksalshaften Überlebensgemeinschaft. Die Arche – aus der Sintflutgeschichte – ist das treffende Symbol dafür. Gott holt Mensch und Tier ins selbe Boot. Und im zweiten Kapitel Genesis darf man nicht überlesen, dass der Mensch mit den Tieren die Sterblichkeit teilt. Man kann resümieren: Der Unterschied zwischen Mensch und Tier ist gering und beide sind Bundesgenossen Gottes.
Der Mensch wird doch als Abbild Gottes bezeichnet ...? Die Sonderstellung des Menschen ist seine Verantwortung. Im Auftrag und nach dem Vorbild Gottes hat er, wie ein guter König, die Pflicht für die Tiere zu sorgen und zu achten, dass keines dem anderen seinen Raum wegnimmt. In den biblischen Texten heißt es, dass der Mensch die Tiere wie sozial Benachteiligte, wie Kinder oder Asylanten behandeln muss. Wir sehen: Was wir heute Tierschutz nennen, hat in der Bibel einen viel höheren Stellenwert als in unserer modernen Gesellschaft.
Was heißt das für unseren Umgang mit den Tieren? Wir dürfen die Tiere nicht nur nutzen und fragen, was kann ich durch ihre Verwertung bekommen, sondern wir müssen ihnen gerecht werden. Das bedeutet auch, dass wir bereit sein müssen, mit den Tieren unseren Reichtum zu teilen.
Den Wohlstand, den Reichtum mit Tieren teilen? Ja. Wenn im 16. Jahrhundert zehn Leute in einem Raum wohnten, wurden selbstverständlich die Tiere auch eingepfercht gehalten. Heute können wir Menschen uns leisten weiträumiger, besser zu leben. Das steht auch den Tieren zu. Sie durch die Massentierhaltung unter Bedingungen zu halten, die der Situation vor vierhundert Jahren nahe kommt, widerspricht dem Auftrag Gottes. Ich möchte ausdrücklich sagen, dass ich damit nicht die Landwirte kritisiere. Die ganze Gesellschaft ist für Gerechtigkeit Tieren gegenüber verantwortlich.
Der Katechismus der katholischen Kirche ordnet die Tiere unter dem Gebot „Du sollst nicht stehlen“, also unter dem Schutz des fremden Eigentums ein. Das trifft aber nicht Ihre Sicht der Mensch-Tier-Beziehung ... Wenn man die zehn Gebote als Bezugsrahmen für ein Leben aus dem Glauben verwendet, dann wären die Tiere besser beim fünften Gebot aufgehoben: „Du sollst nicht töten.“ Die Tiere sind Leben, das geschützt werden muss.
Dann müssten aber alle Menschen Vegetarier werden ...? Ein prinzipielles Tötungsverbot von Tieren lässt sich nicht begründen. Wir essen auch Pflanzen und die sind ebenfalls Lebewesen. Aber die Tötung von Tieren stellt eine ernste Anfrage an unseren Lebensstil. Die Mengen Fleisch, die wir essen, können wir nicht auf tiergerechte Weise erzeugen. Wenn wir eine Mensch-Tier-Beziehung leben wollen, die im Sinne Gottes ist, müssen wir unseren Fleischkonsum deutlich reduzieren. Da rede ich noch gar nicht vom Hunger in der Welt, der durch den hohen Fleischverbrauch in den reichen Ländern des Nordens mitverursacht wird. Insofern können Vegetarier uns ein wichtiges Signal geben.
Ganz gegen den gesellschaftlichen Trend scheuen Sie sich nicht das rituelle Schlachten positiv zu bewerten: als einen Weg, der den Fleischkonsum reduziert. Das Schächten bei den Juden und Muslimen wirkt als Bremse beim Töten von Tieren. Bis heute beten jüdische und muslimische Schlachter für jedes einzelne Tier, bevor sie es töten. Die vorgeschriebenen Rituale verhindern, dass es zu einem industrialisierten Schlachten kommen kann. Fleisch steht damit nicht in beliebiger Menge zur Verfügung. Ohne Schlachtrituale sehe ich aber keine realistische Möglichkeit, das industrialisierte Schlachten, wie es in der westlichen Welt üblich geworden ist, einzudämmen.
Was kann man dennoch tun, um den Fleischkonsum zu senken? In England und Holland gibt es eine Bewegung, die einen wöchentlichen „Vegi-Day“ propagiert, einen Tag fleischlos zu leben. Zur Diskussion stehen Dienstag oder Donnerstag. Sonderbarereweise denkt diese Bewegung nicht an den Freitag, wofür es in der katholischen Kirche eine alte Tradition gibt. Doch wenn selbst in manchen katholischen Bildungshäusern am Freitag Fleisch auf den Tisch kommt, dürfen wir uns nicht wundern, wenn uns die anderen nicht ernst nehmen.
Ein Blick in die Gesellschaft zeigt, dass es auch ein Zuviel an Tierliebe gibt. Darin besteht die Schizophrenie unseres Umgangs mit Tieren. Einerseits schlachten wir Tiere in industrialisierten Schlachthöfen, andererseits gibt man Tieren eine Überdosis an Liebe, vermenschlicht sie und wird Ihnen dadurch auch nicht gerecht.
Zum Abschluss eine oft von Kindern gestellte Frage: Kommen Tiere in den Himmel? Selbstverständlich. Man braucht nur auf das achte Kapitel im Römerbrief zu schauen. Die ganze Schöpfung – und da gehören die Tiere dazu – ist zur Freiheit und Herrlichkeit der Kinder Gottes berufen – durch Jesus Christus. Jetzt vor Weihnachten möchte ich darauf aufmerksam machen, dass wir nicht nur die Menschwerdung, sondern die Fleischwerdung, die Geschöpfwerdung Gottes feiern. Jesus Christus ist so mit allen Geschöpfen verbunden, nicht nur mit den Menschen. Wenn der heilige Franziskus die Tiere als seine Geschwister anredet, ist das keine poetische oder bildliche Aussage, sondern eine theologische und dogmatische Aussage. Im Blick auf die Geschöpfwerdung Gottes bleibt zu Weihnachten kein Platz mehr für Kitsch: Weihnachten wird zu einem Fest, das uns mit der ganzen Schöpfung verbindet. Ochs und Esel stehen stellvertretend für alle erlösten Tiere an der Krippe.
Michael Rosenberger mit der Miniatur eines Bildstocks, der die Form der „Arche Noah“ hat. Das Original steht auf einer Ökofläche bei Würzburg.
Im Gespräch
Dr. Michael Rosenberger
Michael Rosenberger (geb. 1962 in Würzburg) lehrt seit 2002 Moraltheologie an der Katholisch-Theologischen Privatuniversität Linz. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten gehört die Schöpfungsverantwortung. Sein Buch „Im Zeichen des Lebensbaums. Ein theologisches Lexikon der christlichen Schöpfungsspiritualität“ ist inzwischen ein Klassiker. Seit 2008 ist Rosenberger Mitglied der hochkarätig besetzten Stiftung „Bündnis Mensch & Tier“. Er hat damit Neuland betreten und ist der einzige Theologe in diesem Gremium. Tiere waren und sind noch immer „Stiefkinder“ der Theologie, weil sie seit den Schriften des Philosophen René Descartes am Beginn der Neuzeit als vernunft- und seelenlos galten. Rosenbergers Arbeiten haben die Eckpunkte einer modernen theologischen Tierethik zum Thema. Er ist auch Mitherausgeber des Buches „Gefährten, Konkurrenten, Verwandte. Die Mensch-Tier-Beziehung im wissenschaftlichen Diskurs“.