Jahrhundertprojekt: Die Basilika Sagrada Familia des Architekten Antoni Gaudi in Barcelona
Steinerner Hymnus auf Gott
Ausgabe: 2010/44, Antoni Gaudi, Gaudi, Barcelona, Projekt, Kirchenbau, Kirche, Basilika, Sagrada Familia
03.11.2010 - Robert Mitscha-Eibl und Christoph Scholz
Der große katalanische Architekt Antoni Gaudi, für den ein Seligsprechungsverfahren läuft, widmete mehr als die Hälfte seines Lebens der Sagrada-Familia-Basilika, einem Jahrhundertprojekt. Papst Benedikt wird am 7. November den Altar der berühmtesten Kirche Barcelonas einweihen.
Am Wiener Stephansdom wurde mehr als 150 Jahre gebaut, bis er seine heutige Gestalt im Wesentlichen erreicht hatte; der Bau des Petersdoms währte 120 Jahre. Die Grundsteinlegung für die Sagrada Familia in Barcelona erfolgte 1882. Erst 128 Jahre später, am 7. November 2010, wird sie zur Kirche; dann weiht Papst Benedikt während seines Spanienbesuchs den marmornen Altar. Rund ein Drittel des Gesamtprojektes harrt jedoch noch der Umsetzung. Wann Antoni Gaudis (1852–1926) Lebensprojekt vollendet sein wird, wagt sein sechster Nachfolger als Chefarchitekt der Kathedrale, der 85-jährige Jordi Bonet, nicht zu sagen. Er zitiert bei solchen Gelegenheiten seinen großen gottesfürchtigen Lehrmeister Gaudi: „Mein Klient hat keine Eile.“
Mission und Passion. Die „Kathedrale“ war dem berühmtesten katalanischen Architekten mehr als ein Auftrag gewesen, sie wurde ihm Mission und Passion, ein Stein gewordener Hymnus auf Gott. Gaudi hatte sein eigenes Vermögen in das Projekt gesteckt, er vernachlässigte sein Äußeres, weshalb er nach einem Unfall auch nicht sofort erkannt und in ein Armenhospital gebracht wurde. Einen Tag später identifizierte ein Geistlicher den Künstler, der kurz danach am 10. Juni 1926 starb.
Genie und Wahnsinn. Antoni Gaudi y Cornet wurde knapp 74 Jahre davor, am 25. Juni 1852, als fünftes und letztes Kind eines Metallarbeiters in Reus unweit von Tarragona geboren. Schon mit 15 Jahren veröffentlichte er Zeichnungen und zeigte Begeisterung für das idealisierte Mittelalter, wie es die Romantik entwarf. Zwei Jahre später zog er zum Architekturstudium nach Barcelona. Der Direktor des dortigen Instituts sollte nicht der Einzige bleiben, der bei Gaudi die sprichwörtliche Nähe von Genie und Wahnsinn konstatierte. Bei allem Bohème-Leben blieb Gaudi stets seiner Herkunft aus dem Volk treu und sympathisierte mit dem utopischen Sozialismus. Niederschlag fand dies in seinem Entwurf zu einer Arbeitersiedlung. Später suchte er christliche Antworten auf die soziale Frage. Öffentliche Anerkennung blieb ihm weitgehend versagt. Dafür säumten Mäzene seinen Lebensweg und überhäuften ihn mit Aufträgen. So entstanden jene kühnen Gebäude wie die Casa Vicens in maurischem Stil, das Herrenhaus El Capricho oder der Palacio Güell. Die einzigartigen Pavillons am Eingang des Park Güell sind noch heute Pilgerstätten für Architekturstudenten. Die Krönung seines Lebenswerkes sollte die Sagrada Familia werden. Vom Park Güell, hoch über Barcelona gelegen, sieht sie wie eine überdimensionale Sandburg aus. Sollte sie einmal vollendet sein, wird ein Mittelturm über dem Hauptaltar das dann 18-türmige Bauwerk krönen.
Mystischer Leib Christi. Die Sagrada Familia sollte als Sühnekirche entstehen und nur durch Spendenmittel finanziert werden. Der Architekt ging schließlich selbst mit dem Hut durch die Straßen. Wachsende Kosten zögerten die Fertigstellung immer weiter hinaus. Entscheidender aber war, dass Gaudi während der Konstruktion immer neue Ideen entwickelte. Im Alter widmete sich der Architekt in mystischer Einsamkeit ganz „seiner“ Kathedrale. Im Mittelpunkt der Konzeption des Gotteshauses steht die Kirche als mystischer Leib Christi. Auf ihn soll der – noch zu bauende – Mittelturm über dem Hauptaltar hinweisen, während die jeweils vier Türme an den drei Fassaden die Apostel stellvertretend für das Gottesvolk symbolisieren. Die Fassaden selbst widmen sich dem Wirken Jesu: Leben, Tod und Auferstehung.
ZUR PERSON
Seit dem Jahr 2000 läuft ein Seligsprechungsverfahren für den Architekten Antoni Gaudi. Der damalige Erzbischof von Barcelona, Kardinal Ricardo Maria Carles, sagte, verschiedene Aspekte der Persönlichkeit Gaudis seien missverstanden, verfälscht oder vergessen worden. Darunter falle auch sein intensives spirituelles Leben. Carles verwies auf Kunstwerke an der Fassade der Kathedrale von Barcelona. Ohne ein tiefes geistiges Leben und eine intensive Beschäftigung mit dem Glauben hätte Gaudi solche Werke nicht schaffen können, so Carles.