Montag, 2. August, früher Vormittag. Sozialarbeiter, Ärztin und Krankenschwester von der OBST – Obdachlosenstreetwork – des Sozialvereins B37 beginnen ihren Rundgang durch die Linzer Innenstadt. Sie suchen ihre „Kunden“ auf, Menschen, die auf der Straße leben oder in der Waggonie und in Abbruchhäusern.
Die Ärztin hält Sprechstunde auf der Parkbank.
Die Ärztin Dr. Maria Baumgartner geht nun schon seit einigen Wochen am Montag mit. So kann sie an Ort und Stelle – im Park etwa oder am Bahnhof – medizinische Fragen klären. Obdachlose Menschen haben eine Scheu vor Ärzten und Krankenhäusern. Sie hätten aber dringend medizinische Versorgung nötig. Nicht nur weil die Gewalt in der Szene zunimmt. Banden aus Tschetschenien etwa gehen oft brutal gegen Obdachlose vor, erpressen Geld und fackeln nicht lange herum. Ein Leben am sozialen Rand ist zudem Ursache für viele schwere Krankheiten, die oft lange Zeit unbehandelt bleiben.
Vertrauen aufbauen.Auf dem Platz vor dem O.K treffen wir einen obdachlosen Mann. Er wurde binnen einiger Wochen zweimal zusammengeschlagen, wovon eine verheilte Narbe und eine neue Naht auf der Stirn zeugen. Ein anderer, so erzählen die Streetworker/innen, wurde vor Kurzem so brutal traktiert, dass er einen Lungenriss, eine Nierenquetschung und mehrere Rippenbrüche davongetragen hat. Im Hessenpark sitzen ein paar obdachlose Menschen auf einer Parkbank in der Sonne. Der Wein im Tetrapack steht am Boden. Einer von ihnen ist zum Entzug entschlossen. Die Ärztin freut sich, dass sie sein Vertrauen gewinnen konnte und er in die Klinik geht. Alleine den Kontakt zu pflegen und den Menschen nachzugehen, ist Medizin. OBST-Leiter DSA Dietmar Mayr redet ihm zu, dass er gleichzeitig auf Wohnungssuche gehen soll. Denn wenn er vom Entzug auf die Straße entlassen werde, sei er wieder im Teufelskreis drinnen. Er soll doch in die Notschlafstelle kommen, meint Mayr. Doch der Mann, der dem Alkohol entfliehen will, bleibt lieber noch in der Waggonie. Da müsse er nicht jeden Tag, egal wie das Wetter ist, um halb acht in der Früh hinaus.
Hausen, nicht wohnen.„Waggonie“ nennen Wohnungslose ein Dach überm Kopf, das sie auf dem Linzer Hauptbahnhof in abgestellten Waggons finden. Dort hausen sie, aber sie sind wenigstens nicht Wind und Wetter ausgesetzt. Konflikten allerdings schon. Etwa wenn organisierte Banden aus dem Osten diese „Quartiere“ für sich beanspruchen. Im Bahnhofsgebäude halten sich auch immer obdachlose Menschen auf. Beachten sie die Regeln, werden sie nicht vertrieben. Unweit des Bahnhofs sind zwei Abbruchhäuser von obdachlosen Menschen besetzt. Eines von einer Bettelbande. Der Gang durchs Quartier ist ein Steigen über Abfall und schmutzige Schlafnischen, über Ratten und Scherben, über Berge von Plastikmüll.
Sich sorgen „Über die medizinische Versorgung gewinnen wir Zugänge, die Sozialarbeit manchmal nicht schafft“, sagt Krankenschwester Andrea Miesenböck. Auf dem Weg vom Hessenpark über den Schillerpark zum Bahnhof vermissen die OBST-Mitarbeiter/innen einen ihrer „Kunden“, einen psychisch kranken Mann. Sie suchen lange nach ihm, fragen sich in Obdachlosenkreisen durch. Schließlich finden sie ihn. – Es ist also jemand da, der sich um das Leben dieser vom Leben so vernachlässigten Menschen Sorgen macht!
Sich einlassen „Die Allerärmsten sind die psychisch kranken Obdachlosen“, erzählt Dr. Maria Baumgartner, nachdem sie einen „ihrer“ Patienten im Hessenpark gefragt hat, wie es ihm geht. Seit drei Wochen kommt er zu ihr am Mittwoch in die Sprechstunde in der Notschlafstelle. Der Kontakt zur Ärztin auf der Straße hat ihn Vertrauen fassen lassen. „Das ist unser Job“, erzählt Dietmar Mayr. „Wir quatschen die Leute an, zeigen Möglichkeiten auf, laden sie ein, in die Beratung zu kommen.“ So gelingt es der Streetwork, ca. 100 Menschen pro Jahr von der Straße wegzubringen.
Sozialverein B37, Bethlehemstraße 37, 4020 Linz, Tel. 0732/77 86 82, www.b37.at Obdachlosenstreetwork des B37, Starhembergstraße 11, 4020 Linz, Tel. 0732/60 04 25 Notschlafstelle des B37, Anastasius-Grün- Straße 2, 4020 Linz Psychosoziales Wohnheim des B37, Bethlehemstraße 37, 4020 Linz