Weihnachten ist ein besinnliches Fest. Das bedeutet aber nicht unbedingt, dass man sich einfach in die ganz private Ruhe zurückziehen kann. Diese wahre Weihnachtsgeschichte erinnert uns daran, dass die Besinnung auf die christliche Weihnachtsbotschaft eigentlich zur konkreten Nächstenliebe führt.
Ausgabe: 2016/51
20.12.2016 - Gerhard Spanring
Es ist schon dunkel, als wir in unserem kleinen Landgasthaus endlich Sperrstunde machen können. Am Heiligen Abend wollen auch Wirtsleute einmal Zeit haben für die eigene Familie. Wenigstens für ein gemeinsames Abendessen vor der Bescherung, nachdem für die Weihnachtsvorbereitungen ohnehin kaum Zeit war. Neben dem Geschäft. Wo doch die Gattin von früh bis spät beim Herd steht. Wenn die Gaststube voll ist, sobald die Männer vom Eisstockschießen hereinpoltern und nach Glühwein und Schnapstee verlangen. Und wo auch schon Wintergäste im Dorf sind. Doch, wie jedes Jahr, hängen wieder ein paar Väter mit ihren ungeduldigen Halbwüchsigen bei Bier und Cola herum – bis bei ihnen zu Hause der Christbaum fertig aufgeputzt ist.
„Mit Kopf“
Als ich also endlich den Schlüssel umdrehen kann, decken die Kinder bereits den Küchentisch. Die zwei Großen sind sonst in der Stadt in der Lehre und auch unser Student war aus dem Internat über die Weihnachtsferien heimgekommen. Unser Blondschopf, der Jüngste, steht auf seinen Zehenspitzen und lugt in die große Pfanne am Herd, wo schon die Forellen brutzeln. „Fisch mit Kopf“ – im Gegensatz zu Scholle oder Dorsch aus der Tiefkühlpackung – ist sein Lieblingsessen. Längst hat er sich zwei davon ausgesucht, die er nicht mehr aus den Augen lässt. Gerade als angerichtet wird und die Großen schon beim Tisch sitzen, pocht es an der Fensterscheibe. „Da will sicherlich so ein Lästiger noch Zigaretten“, entfährt es mir. Unwillig gehe ich in die Gaststube hinüber, mache Licht und sperre auf. Der Wind weht außer der Kälte eine schneebedeckte Gestalt in den Raum. Die Wollhaube tief in der Stirn, darunter Eisperlen in Brauen und Bart. Er klopft den Schnee vom Mantel, schüttelt die Haube aus und lässt sich wie selbstverständlich auf der Bank beim Stammtisch nieder, als wisse er nicht, dass Heiliger Abend ist, wo doch die Wirtsleute auch ein- mal ... „Josef, heute ist zugesperrt. Wir brauchen auch einmal Ruhe. Du musst leider wieder ...!“ Es fällt mir nicht leicht. Josef ist ein alter Mann. Ein Ausländer. Manche fürchten sich vor ihm, wenn er ein paar Mal im Jahr in unserem Dorf auftaucht. Er hilft dann bei der Ernte, gräbt einen Brunnenschacht, macht jede Arbeit für Kost und Quartier. Quartier im Heustall. Nachdem ihm der Bauer Zigaretten und Zündhölzer abgenommen hat. Man weiß ja nie!
Zwei Teller
Die Küchentür fällt ins Schloss. Blondschopf wieselt daher, in jeder Hand einen Teller balancierend. Auf jedem eine gebratene Forelle. Einen Teller schiebt er Josef hin, zum anderen kraxelt er selber auf einen Stuhl. „Papa, kannst schon in die Küche gehen.“ Josef greift über den Tisch, streicht dem Bübl wortlos mit der Hand über den blonden Schopf und sieht nicht meine Verlegenheit, als ich ihm eine Flasche Bier hinstelle und in die Küche gehe. Zum Weihnachtsessen. Mit der Familie. Ohne unseren Blondschopf, der mit leuchtenden Augen zuschaut, wie es dem Josef schmeckt. Die Forelle. Seine Forelle. Während draußen der Wind heult. In der Heiligen Nacht. Was Weihnachten ist. Als Blondschopf dann noch Polster und Decken heranschleppt und auf der Wirtshausbank ausbreitet, gehe ich zu meiner Familie ins Wohnzimmer. Während sich Josef in der Gaststube ausstreckt, stehen wir beschämt und glücklich zugleich vor dem Christbaum, hat uns doch ein reines Kinderherz daran erinnert, was Weihnachten ist. «
Der Autor Gerhard Spanring lebt in Krems-Stein (NÖ).